Vilma Steindling, geb. GEIRINGER Geboren am 4. August 1919 in Wien Verfolgungsgrund: politischer Widerstand Biografische Daten |
Kindheit und Jugend in Wien
Vilma Steindling wird 1919 als Vilma Geiringer in Wien unter sehr ärmlichen Verhältnissen in eine jüdische Familie hineingeboren. Der Vater stirbt als sie drei Jahre alt ist, die Mutter erkrankt schwer als sie acht Jahre alt ist. Vilma kommt daraufhin ins jüdische Waisenhaus im 19. Bezirk. Mit dreizehn Jahren verliert sie die Mutter. Nach der Hauptschule wollte sie eigentlich Krankenschwester werden. Dies war aber erst mit 18 Jahren möglich. So absolvierte sie eine Lehre als Modistin, was ihr wenig Spaß machte. Im Interview mit Irene Etzersdorfer kommentiert Vilma das so:
Opferausweis
Nach Obdachlosigkeit und langen Irrwegen findet Vilma Unterschlupf in einer Unterkunft gemeinsam mit anderen Leuten. Ihrer sozialen Ader entsprechend, beginnt sie eine Ausbildung als Fürsorgerin, lernt Adolf Steindling kennen und bekommt von ihm zwei Töchter. Das Leben nach dem Krieg ist sehr schwer, Geld ist äußerst knapp bis Dolly (Adolf) schließlich bei der USIA[5] Beschäftigung findet und die Familie in ein von den Sowjets besetztes Haus in der Taborstraße ziehen kann. Vilma arbeitet während ihrer Ausbildung zur Fürsorgerin halbtags im Jugendamt, danach übernimmt sie dort eine Vollzeitstelle. Aufgrund ihres sozialen Engagements hat sie eine Leidenschaft für diesen fordernden Beruf. Später arbeitet Vilma ehrenamtlich für die Bewährungshilfe und danach halbtags für die Wiener Pensionisten-heime. Sie ist Mitglied der KPÖ, sehr engagiert und arbeitet für die Partei. 1968 nach dem Einmarsch der Sowjets in die Tschechoslowakei tritt sie enttäuscht aus der Partei aus.
Traumata
Vilma ist sehr nervös, ist Kettenraucherin, kann nur mit Valium schlafen, hat Alpträume, schreit im Schlaf, erbricht morgens auf dem Weg zur Arbeit und ist mit Arbeit, Kindern und Haushalt überfordert. Sie spricht viel über das KZ, allerdings auf eine merkwürdige, gleichsam lustige Art, wobei sie die erlebten Gräuel ausspart. Allerdings machten sich die Entbehrungen, die sie im KZ erleiden musste, unter anderem durch eine Überbewertung des Essens bemerkbar.
„Ich habe das eigentlich idiotisch gefunden, dass ich da stundenlang sitzen soll, dass sich die einen Scherm aufsetzen kann.“ [2]Vilma entwickelt schon früh eine soziale Ader und engagiert sich mit fünfzehn Jahren im Kommunistischen Jugendverband, der so wie die KPÖ im Austrofaschismus verboten war. Im KJV lernt sie ihren späteren Lebensgefährten Arthur Kreindel kennen, der schon 1937 nach Paris emigriert. Nachdem sie ihre Lehre abgeschlossen hat, folgt sie ihm einige Monate vor dem Anschluss nach. Résistance Arthur Kreindel war Kürschner und konnte in Paris selbstständig arbeiten, während Vilma keine Arbeitserlaubnis hatte und sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlug. Vilma schließt sich auch in Paris den dortigen österreichischen Kommunisten an. Nach der Besetzung von Paris schickt die Partei sie im Sommer 1940 mit acht weiteren Frauen und einem Mann in das nicht besetzte Südfrankreich. Nach Vilmas Rückkehr nach Paris engagiert sie sich gemeinsam mit anderen jungen Frauen in der Travail Allemand (TA), in der sogenannten Mädelarbeit. Diese bestand darin deutsche Soldaten anzusprechen und sie von der Sinnlosigkeit des Krieges zu überzeugen. Die jungen Frauen nannten das scherzhaft „auf den Strich gehen“. Die Arbeit war durchaus nicht ungefährlich, die Frauen konnten jederzeit denunziert werden. Vilma hatte das Pech als Erste ihrer Gruppe Ende 1942 verraten zu werden. Verhaftung und Gefängnisaufenthalte Bei einem der Treffen brachte der Soldat einen Feldgendarmen mit, der Vilma verhaftete. Man brachte sie in das von den Nazis besetzte Gefängnis Fresnes in Paris, wo sie stundenlang verhört wird, aber nicht gefoltert, weil man nicht weiß was ihr vorzuwerfen ist. Trotzdem behauptet die Gestapo, sie hätten jemanden, der über sie aussagen kann. Vilmas Kommentar:
„Da habe ich gesagt: ‚Na her damit! Den will ich sehen, der etwas gegen mich aussagen kann.’ Na, sie haben mir nie jemanden gegenüberstellen können.“ [3]Nach drei Monaten machte man ihr den Prozess und verurteilte sie zu fünf Jahren Zuchthaus. Sechs Monate später wird sie in die Festung Romainville verlegt. Nach weiteren drei Monaten kommt sie in die „Petite Roquette“, genannt „Le Dépôt“ in Paris, ein Gefängnis für Widerstandskämpferinnen und Jüdinnen, eine Art Schubhaft. Kurz darauf wird sie in das Übergangslager Drancy gebracht, von wo sie schließlich Anfang August 1943 nach Auschwitz deportiert wird. Auschwitz und Ravensbrück In Auschwitz ist Vilma den weitgehend bekannten Gräuel ausgesetzt, schwerste Arbeit, Hunger, Terror, Schläge, Krankheiten, Selektionen. Auch in Auschwitz schließt sie sich der kommunistischen Lagerorganisation an, die sie letztlich vor der Vernichtung rettet. Mit ihrer Hilfe bekommt sie gelegentlich eine Brotration, leichtere Arbeit und wird einige Male von der Selektionsliste gestrichen. Die Organisation und ihr starker Lebenswille bewahrten sie davor ein „Muselmann“ [4] zu werden, obwohl sie einmal vor Erschöpfung ins Krankenrevier kommt, wo sie sich geschickt bei der Selektion auf die „richtige“ Seite stellt, um nicht ins Gas zu gehen. Im Jänner 1945 wird Auschwitz evakuiert und Vilma kommt auf den Todesmarsch nach Ravensbrück. Im Vergleich zu Auschwitz kommt ihr Ravensbrück wie das Paradies vor. In Ravensbrück trifft sie Freundinnen, die ihr helfen, sodass sie auch dort der Vergasung entgeht. Im April 1945 kommt das Schwedische Rote Kreuz nach Ravensbrück mit der Absicht, die Französinnen zu befreien. Da Vilma als Französin gilt, kommt sie so nach Schweden, wo sie sich drei Monate erholen kann. Anschließend wird sie nach Paris repatriiert, wo man ihr mitteilt, dass Arthur Kreindel, der auch in Auschwitz war und den Todesmarsch mitgemacht hat, überlebt habe und in Wien sei. Daraufhin reist sie auf abenteuerliche Weise nach Wien und erfährt dort, dass Arthur in Dachau ermordet worden ist. Neuanfang in Wien
Opferausweis
„Ich verfress’ mein ganzes Geld. Was ich im Magen hab’ kann mir keiner mehr wegnehmen.“ [6]Noch in der ersten Zeit in Wien hatte sie immer Angst, dass „man ihr am folgenden Tag nichts mehr gibt“ [7], obwohl sie sich schon selbst versorgen konnte.
„Ich kann das Dreifache von jemand anderem essen und weiß nicht, dass ich gegessen habe. Ich bin dann nicht satt. Erst bis mir schlecht ist. Mir wird nicht so leicht schlecht, leider.“ [8]Sie ist Mitglied des KZ-Verbands und geht regelmäßig zu den Treffen. Wöchentlich treffen sich die ehemaligen „KZ-ler“ und sprechen über ihre Erlebnisse. Vilmas Ehe ist unglücklich, es gibt viel Streit. Beharrt Dolly rechthaberisch auf seinem Standpunkt, was sich oft in langwierigen Diskussionen äußert, gibt Vilma auf und sagt zu den Kindern: „Wenn euer Papa sagt, das Wasser rinnt die Dachrinne hinauf, dann rinnt es die Dachrinne hinauf.“ [9] Schließlich kommt es zur Scheidung, was bei Vilma einen Zusammenbruch auslöst und zu einer schweren Depression führt. Gewaltig treten die Folgen der KZ-Haft nach der Geburt des zweiten Enkelkindes auf. Vilma kann das Weinen des Babys nicht ertragen, es erinnert sie an ein Baby in Auschwitz, das so lange winselte, bis es starb. Vilma starb im Jahr 1989 im Alter von 70 Jahren. © Ruth Steindling [1] Diese Kurzbiographie basiert auf dem Buch von Steindling, Ruth und Erdheim, Claudia: Vilma Steindling. Eine jüdische Kommunistin im Widerstand, Wien: Amalthea 2017. [2] Interview von Irene Etzersdorfer mit Vilma Steindling, am 7. September 1983, Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands. Kassette A, S. 3. „Scherm“ ist ein witzig gemeinter Ausdruck für Hut im Wienerischen und bedeutet eigentlich „Nachttopf“. [3] Interview von Irene Etzersdorfer mit Vilma Steindling, am 7. September 1983, DÖW 2. Teil, S. 34. [4] Als „Muselmann“ bezeichnete man in der Lagersprache Menschen, die ihren Lebenswillen verloren hatten, apathisch und total entkräftet waren. [5] „USIA (УСИА, Abk. von russisch Управление советским имуществом в Австрии, Verwaltung des sowjetischen Eigentums in Österreich) war in der sowjetischen Besatzungszone in Österreich von 1946 bis 1955 ein Verbund von mehr als 300 Unternehmen, die von der Sowjetunion als ehemaliges Eigentum des Deutschen Reiches beschlagnahmt worden waren. Die USIA wurde von sowjetischen Stellen geleitet und hatte sich nach den Vorgaben der sowjetischen Staatsführung zu richten.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/USIA) [6] Steindling, Ruth und Erdheim, Claudia: Vilma Steindling. Eine jüdische Kommunistin im Widerstand, Wien: Amalthea, 2017, S. 159. [7] Ebd., S. 159. [8] Ebd., S. 160. [9] Ebd., S. 139.