Johanna Sturm

Hanna STURM
Geboren am 28. Februar 1891 in Klingenbach (Burgenland)
Verfolgungsgrund: Politischer Widerstand
Biografische Daten



Foto von Johanna Sturm (Quelle: Burgenländisches Landesarchiv)
Kindheit und Jugend eines Arbeiterkindes
Hanna Sturm wurde 1891 in Klingenbach geboren. Hannas Familie stammte aus der kroatischen Minderheit, der Vater war Gewerkschafter. Die Familie war arm, daher konnte Hanna die Schule nur für wenige Monate besuchen. Bereits mit acht Jahren verrichtete Hanna kleinere Tätigkeiten auf Bauernhöfen. Wenige Jahre später arbeitete sie in Fabriken. Hanna war seit früher Jugend in der ArbeiterInnenbewegung aktiv. Als Vierzehnjährige leitete sie ihren ersten Streik, was zu einer Kündigung führte. Sie zog 1907 nach Wien und schloss sich der dortigen ArbeiterInnenbewegung an. Die GenossInnen dort brachten Hanna lesen und schreiben bei.

Widerstand gegen den Ersten Weltkrieg
1912 und 1915 kamen Hannas Töchter Relli und Theresia zur Welt. Deren Vater kehrte nicht aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Ihre Töchter musste sie aufgrund ihrer Berufstätigkeit bei der Großmutter zurücklassen. 1919 starb Relli in Hannas Abwesenheit.

Bereits gegen den Ersten Weltkrieg leistete Hanna Widerstand. Sie arbeitete ab 1912 in einer Rüstungsfabrik im steirischen Blumau. Dort bereitete sie gemeinsam mit anderen Sabotageakte und Streiks vor:
„In den Betrieben selbst, in der Arbeit mussten wir Wege und Mittel finden, wie wir die Antikriegsarbeit organisierten. Es sind kleine Gruppen gebildet worden oder es gab Einzelmenschen, die Verschiedenes gemacht haben. Zum Beispiel haben wir kleine Flugblätter und kleine Zettelchen gegen den Krieg in Kisten reingegeben, die für den Krieg gedacht waren. Oder wir haben verschiedene Kriegsmaterialien unschädlich gemacht.“ [1]
1918 wurde sie im Zuge der Vorbereitungen zum „Jännerstreik“, in dem die ArbeiterInnen bessere Arbeitsbedingungen und das Ende des Ersten Weltkrieges forderten, verhaftet, aufgrund mangelnder Beweise jedoch rasch wieder freigelassen.

Internationale Solidarität
Hanna zeigte sich auch international solidarisch. Als in Ungarn die nur 133 Tage währende Räterepublik 1919 zusammenbrach, half Hanna politisch Verfolgten über die österreichisch-ungarische Grenze. Einer von Hannas Flüchtlingen war Béla Kun, der Gründer der Räterepublik. Hanna wurde 1927 – aufgrund von innerparteilichen Auseinandersetzungen – aus der Sozialdemokratischen Partei ausgeschlossen und trat der Kommunistischen Partei bei. Für diese fuhr sie im selben Jahr als österreichische Delegationsleiterin zum Frauentreffen nach Moskau. Nachdem sie nach Österreich zurückgekehrt war, fand sie keine Arbeit. 1929 zog Hanna nach Bremen, fand Arbeit, verlor diese aber aufgrund ihrer politischen Tätigkeiten schnell wieder. Daher übersiedelte sie mit ihrer Tochter in die Sowjetunion.

Verhaftung in beiden Diktaturen
1932 kehrte Hanna zurück nach Österreich. Sie wurde aus der KPÖ ausgeschlossen, setzte ihre politischen Tätigkeiten jedoch fort. Viermal wurde Hanna während des Austrofaschismus inhaftiert. Gleich nach dem „Anschluss“ im März 1938 wurde Hanna von den Nationalsozialisten verhaftet. Im Juni 1938 kam sie in das Frauen-KZ Lichtenburg.

Eine Arbeiterin in KZ-Haft
In der Lichtenburg erkrankte sie an der Ruhr, erholte sich wieder und kam überall im Lager zum Einsatz, wo es etwas zu reparieren gab. Nach der Auflösung des KZ Lichtenburg wurde Hanna mit den verbleibenden Häftlingen in das gerade errichtete KZ Ravensbrück gebracht. Auch in Ravensbrück nützte Hanna ihr handwerkliches Talent. Rasch bekam sie ihr eigenes Arbeitskommando, die „Sturm-Kolonne“. Diese zumeist 24 Frauen starke Gruppe bewegte sich frei im Lager und kam überall hin, wo es etwas zu reparieren gab. Sie hielten sich auch innerhalb des SS-Bereiches auf, dadurch war es möglich, Essen zu stehlen. Auch die ebenfalls in der Sturm-Kolonne tätige Hermine Jursa erinnerte sich in einem Interview an Hannas handwerkliches Geschick:
„Sie war ja ein Universaltalent. Was sie angegriffen hat, ist ihr gelungen, deswegen hat sie sich auch viel erlauben können, mehr als die anderen Häftlinge. So viele Ideen hat sie gehabt und so vieles konnte sie entwickeln. Deswegen hat man bei der Sturm-Kolonne viel lernen können. Sogar die SS ist gekommen und hat sich Rat von ihr geholt. Sie haben Respekt vor ihr gehabt.“

Solidarität im KZ
Durch ihr handwerkliches Talent erlangte Hanna eine privilegierte Position innerhalb der Häftlinge, die sie nutzte, um anderen Häftlingen zu helfen:
„Ich hab oft Sachen gemacht, die sich kein anderer getraut hat. Zwölf Stunden sind wir einmal draußen gestanden, im Schnee, Regen, Winter. Viele sind schon gelegen, tot. Mir war auch kalt. Auf einmal seh ich, die [Aufseherin] Mandel kommt daher mit ihrem Ochsenziemer und ihrem Hund – da hat man nicht zu ihr hindürfen. Der Hund hat gleich gebissen. Aber ich hab mir denkt, jetzt is scheißegal, jetzt gehst. Und hab mich vom Zählappell losgelöst. Bin so weit zu ihr hingegangen wie von da über die Straße. Sie ist dort gestanden, grinsend. Vor ihr hab ich müssen zehn Schritte stehen bleiben, näher hin hat man nicht dürfen, zu den Größen. Frau Oberaufseherin Mandel, hab ich gesagt, Sie sind eine Österreicherin. – Halt die Fresse! – Bitte, lassens uns abtreten, schauns, wieviel Tote da schon liegen. Es könnte ihre Mutter dabei sein. Wie ich das gesagt hab, hat sies direkt gerissen. Einen Fußtritt hat sie mir gegeben und ist hinein ins Dienstzimmer.“ [2]
Durch das mobile Arbeitskommando gelang es Hanna, sich zu vernetzen und Widerstand zu planen. Befreit wurde Hanna am 30. April 1945, damit war sie – bis auf wenige Tage – während der gesamten NS-Zeit in Haft.

Rückkehr
Schwer von der Haft gezeichnet kehrte Hanna heim ins Burgenland. Bis 1948 musste sie ohne Opferfürsorge auskommen, diese Jahre waren geprägt von Entbehrungen. Zudem fühlte sich Hanna – die bis ins hohe Alter von den Hafterlebnissen eingeholt wurde – von der öster-reichischen Gesellschaft missachtet:
„Weißt, was sie mir gesagt haben? Wenn es so schlecht war im KZ, wo du angeblich warst, dann wärst du nicht übergeblieben. Wieso bist du übergeblieben! Und dann hat mir einer gesagt, du kannst ja auch in Deutschland verheiratet gewesen sein. Sie haben nicht hören wollen. Dabei träum ich heute noch vom Lager. Ich verfluch das Lager. Fast jeden Tag bin ich dort. Überhaupt jetzt, dieser Tage geistert das Lager hinter mir her. Ich kann schlecht schlafen, und wenn ich fünf Minuten einschlaf‘, bin ich schon irgendwo im Lager.“
Hanna gab aber nicht auf – im Gegenteil: sie sagte mehrmals in den Prozessen gegen die Wachmannschaften des KZ Ravensbrück aus.
Im burgenländischen Neufeld baute sich Hanna eigenhändig ein Haus. Bereits 1958 schrieb sie ihre Autobiographie, fand aber Jahrzehnte lang keinen Verleger. Erst 1982 wurde Hannas Autobiographie „Die Lebensgeschichte einer Arbeiterin. Vom Burgenland nach Ravensbrück“, veröffentlicht. Zwei Jahre später verstarb Hanna in Zagreb bei ihrer Tochter.

[1] Hanna Sturm, „…im ‚Nitroglyzerin auf die Schienen legen‘ waren die Polen die Stärksten…“, Interview mit Hanna Sturm über Sabotage in Rüstungsbetrieben im 1. Weltkrieg, in: Hannes Hofbauer/Andrea Komlosy (Hergs.), Das andere Österreich. Vom Aufbegehren der kleinen Leute. Geschichten aus vier Jahrhunderten, Wien 1987, S. 142-150, hier S. 144.
[2] Hanna Sturm, Die Sturm-Kolonne, in: Karin Berger/Elisabeth Holzinger/Lotte Podgornik/ Lisbeth N. Trallori (Hersg.), Ich geb Dir einen Mantel, daß Du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstehen im KZ. Österreichische Frauen erzählen, Wien 1987, S. 131-136, hier S. 136.

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