Häftlingskategorien


Inhalt

Die Macht des Häftlingswinkels
Roter Winkel – die „Politischen”
Gelber Stern – Als Juden und Jüdinnen Verfolgte
Schwarzer Winkel – die „Asozialen“
Grüner Winkel – die „Kriminellen“
Lila Winkel – die BibelforscherInnen
Rosa Winkel – Vorwurf der Homosexualität

Die Macht des Häftlingswinkels

Tafel mit Häftlingskategorien
(Quelle: BMI/Fotoarchiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen)


Die SS registrierte und kategorisierte die KZ-Häftlinge meist unmittelbar nach der Ankunft. Die Zuweisung einer Nationalität und die Kategorisierung musste weder mit den Handlungen, noch mit dem Selbstbild des Häftlings übereinstimmen. Sie erfolgte gemäß den Einweisungspapieren und rassistischen sowie nationalen Kriterien. [1]

Anhand des sogenannten Häftlingswinkels war die primäre Kategorisierung und damit der Rang eines Häftlings innerhalb der Häftlingshierarchie für alle anderen, Häftlinge wie SS, sichtbar: ein auf der Spitze stehendes farbliches Dreieck, das auf die Kleidung genäht wurde.

Auf den Winkel war bei allen außer den Deutschen Reichsangehörigen die Nationalität der Häftlinge aufgedruckt. Sofern sie nicht als „Juden“ oder als „Zigeuner“ galten, wirkte sich die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich positiv auf die Überlebenschancen aus. Es gab eine breite Palette an Winkeln; im Folgenden sind nur die wichtigsten beschrieben.

Roter Winkel – die „Politischen“
Der „rote Winkel“ war die Kennzeichnung für die „politischen Häftlinge“. Er wurde sehr breit vergeben, war also eine Art Sammelkategorie. Die „Politischen“ stellten die größte Gruppe unter den ÖsterreicherInnen. Diese Kategorie umfasste jede Form des Widerstandes, Abhören von „Feindsendern“, Sabotage, Untergrundaktivitäten, Verstecken von „Volksfeinden“ etc. Auch Frauen, die ein Verhältnis mit einem „Fremdarbeiter“ hatten oder denen ein solches unterstellt wurde, wurden als „Politische“ geführt. Der „rote Winkel“ wirkte sich zumeist positiv auf die Überlebenschancen der ÖsterreicherInnen aus. Dessen TrägerInnen genossen bei der SS größeres Ansehen als die aus rassistischen Gründen Verfolgten oder die als „kriminell“ oder „asozial“ Kategorisierten. Zudem konnten die „Politischen“ auf ein Netzwerk von Mithäftlingen innerhalb des Lagers zurückgreifen und Funktionen in der Häftlingsselbstverwaltung einnehmen: [2]
„August 43 bin ich nach Ravensbrück gekommen. Aber das war dann so, dass alle unsere Genossen, unsere guten Leute haben die besten Funktionen im Lager besetzt gehabt, die seinerseits die Kriminellen gehabt haben. Aber unsere Leute haben versucht, die guten Positionen zu erringen, damit sie irgendetwas tun können. Und jeder hat schon getan, was er konnte. Und mich haben sie Gott sei Dank in den Arbeitseinsatz hineingegeben, und das war eine sehr wichtige Position, weil da habe ich die ganze Liste [von Häftlingen] gehabt. Jeden Tag sind Transporte gekommen und Transporte gegangen, und ich habe das müssen eintragen und austragen usw., und ich wusste, wenn jemand da ist, das war ja sehr wichtig. Und dann sind welche gekommen, da habe ich darüber [in der Liste] ein besonderes Zeichen machen müssen. Die sind besonders gefährdet gewesen. Und da habe ich schon begonnen, irgendwie zu helfen, Leute herauszuziehen, zu verstecken, oder [ihnen] eine andere Nummer zu geben. Von Verstorbenen, von Toten [die Nummern] gestohlen usw., da hat man solche Sachen gemacht.“ [3]

Gelber Stern – Als Juden und Jüdinnen Verfolgte
An unterster Stelle in der von der SS eingeführten Häftlingshierarchie standen die als „Juden“ kategorisierten Häftlinge aller Nationalitäten. Diese Häftlingsgruppe wurde nicht – wie die anderen Verfolgten – mit einem einfachen Winkel gekennzeichnet, sondern durch zwei Winkel, die versetzt übereinander genäht, einen Stern bildeten. Der gelbe Winkel konnte so mit einem andersfarbigen Winkel kombiniert werden. Dies geschah etwa, wenn eine Widerstandskämpferin auch als Jüdin klassifiziert wurde. In diesem Fall bestand der Stern aus einem gelben und einem roten Winkel. Ein gelber Stern bedeutete, dass sie ausschließlich als Jüdinnen/Juden verfolgt wurden.
„Das Kleid hatte lange Ärmel, ganz fest zu, und da war mein, mein Winkel, ein roter Winkel mit einer Nummer, den die Leute, so wie die Anna Hand oder die in den Büros waren, die Freundinnen, ausgetauscht haben: den jüdischen Winkel für einen – reinen roten. Der rote war über einem gelben Dreieck, auch ein Dreieck. Und das haben sie mir weggegeben und haben mir den draufgegeben. Und der hat immer auf meinen Winkel geschaut, und ich habe gezittert, dass er nicht sagt: ‘Geh, krempel deine Ärmel auf und zeige deine Nummer!‘ Also das, das waren schon höllische Qualen für mich, aber ich habe es überstanden.“ [4]
Durch den verbotenen Tausch der Winkel konnte der jüdischen Widerstandskämpferin Lotte Brainin, aus Auschwitz nach Ravensbrück gekommen und daher tätowiert, das Leben gerettet werden. Für andere politische Häftlinge, wie die sozialdemokratische Widerstandkämpferin Käthe Leichter, war es nicht möglich, ihre jüdische Herkunft zu verbergen:
„Am Abend bevor sie abtransportiert worden sind, hab ich mich mit Helene auf den jüdischen Block geschlichen. Das war ein Abschied, das kann man nicht schildern. Sie haben nicht gewusst, wohin sie kommt, weil es das erste Mal war, dass so ein Transport wegging. Aber sie haben‘s geahnt. Alles, was sie hatten, haben sie uns gegeben, und Grüße an die Verwandten, an die Mutter. Wie wir dann wussten, dass sie im Gas waren, weißt, was da war? Wir haben keine Trauerkleider anziehen und keine Trauerfahne hissen können. Doch das Lager ist verstummt.“ [5]

Schwarzer Winkel – die „Asozialen“
Den „schwarzen Winkel“ trugen Häftlinge, denen ein für damalige Verhältnisse nicht angepasstes Verhalten unterstellt wurde. Die Gründe, die zur Verhaftung führten, sind innerhalb der TrägerInnen dieses Winkels ebenso vielfältig wie unter den „Politischen“. Sie reichten vom Vorwurf der Prostitution über Arbeitsverweigerung bis zu Einweisungen durch die Wiener Fürsorge, umfassten aber auch die rassistische Verfolgung. Selbstzeugnisse gibt es von Verfolgten dieser Haftgruppe – außer bei den als „Zigeuner“ Verfolgten kaum. Die rassistischen und abwertenden Zuschreibungen waren entscheidend für die Behandlung innerhalb der als „asozial“ gebrandmarkten Gruppe. Rosa Winter, Sintizza aus Oberösterreich, erinnert sich im Interview, dass „Juden“ und „Zigeuner“ in der Häftlingshierarchie auf einer Stufe standen:
„Aber zwischen den Juden und Sinti, die waren halt so ziemlich eine Klasse. Eine Klasse. Und manchmal hast du halt mehr Chance gehabt und manchmal halt nicht. Bei der Arbeit waren wir alle gleich für die Aufseher. Ob das war oder der war. Ob es ein Roma war oder des war, das war ihnen alles gleich. Hauptsache, du hast diesen Job machen können, nämlich das, was sie dir angeschafft haben. Und dass du das geleistet hast, was sie von dir verlangt hat. Und wenn du es nicht geschafft hast, dann bist du umgefallen, dann hat sie dich natürlich noch gehauen mit ihrer Hundepeitsche und hat dich auffressen lassen von den Hunden. Na ja. Du warst ein verstinkter Zigeuner oder ein verstinkter Jude. Das war halt so.“ [6]

Grüner Winkel – die „Kriminellen“
Mit dem grünen Winkel waren Frauen gekennzeichnet, die leichte bis schwere Straftaten begangen hatten, wie bspw. Diebstahl oder Abtreibung. Sie wurden dann nach Verbüßung der Gefängnisstrafe auf Betreiben der Kriminalpolizei zur sogenannten “vorbeugenden Verbrechensbekämpfung” im KZ interniert. Tendenziell scheuten die „Politischen“ den Kontakt zu den „Kriminellen“: „[…] weil da hast du
dich von vornherein abgesondert, weil mit den Leuten [wollte] man nichts zu tun haben.“ [7]
Es gab aber „Kriminelle“, wie die Lagerälteste Marianne S., die von den „Politischen“ als solidarisch und den Widerstand unterstützend empfunden wurden.

Für Marianne S. und auch andere wegen (vermeintlicher) Kriminalität Inhaftierte hatte die Zuteilung des „grünen Winkels“ auch noch Folgen in der Nachkriegszeit. Wie die als „Asoziale“ Verfolgten, wurden auch „Kriminelle“ nicht als Opfer des Nationalsozialismus vom österreichischen Staat anerkannt. Sie wurden gesellschaftlich weiter als scheinbar „zu Recht im KZ Gewesene“ ausgegrenzt. Durch diese Stigmatisierung gibt es kaum Erfahrungsberichte von dieser Opfergruppe.

Lila Winkel – die BibelforscherInnen

Passierschein der inhaftierten Zeugin Jehovas Katharina Thaller
(Quelle: Privatarchiv Thaller)


TrägerInnen dieses Winkels wurden wegen ihrem Glauben als Zeugen Jehovas verfolgt. Die Bibelforscher oder Zeugen Jehovas – wie sie sich heute nennen – verweigerten den Hitlergruß, den Wehrdienst und auch jegliche sonstige Arbeit, die dem Krieg hätte dienen können. Somit deckt sich hier die Fremdzuschreibung durch die Behörden und die SS mit dem Selbstverständnis der inhaftierten Gläubigen. Die Zeugen Jehovas waren die einzige Häftlingsgruppe, die eine Freilassung hätte erwirken können, wenn sie dem Glauben abgeschworen hätten. Die SS ging bei ihren Versuchen, die „BibelforscherInnen“ von ihrem Glauben abzubringen, sehr brutal vor. Schläge bis zur Bewusstlosigkeit, Arrest im Bunker, stundenlanges Appellstehen etc. waren keine Seltenheit. Bei den anderen Häftlingen waren die „Bibelforscherinnen“ für ihre kollektive Standhaftigkeit und Solidarität im Lager bekannt:
„Sie haben einen Auftrag bekommen, in irgendeiner Hütte Fahnentücher zu sortieren. Und haben sich geweigert, die Hakenkreuzfahne anzugreifen, weil sie Kriegssymbol war. Also so weit sind sie gegangen in ihrem Glauben. Da haben wir sie schreien gehört und Schläge und Hundegebell und um Gotteswillen, da haben sich die jagen lassen von den Hunden, sie haben dieses Fahnentuch nicht angegriffen.“ [8]
Bei den Zeuginnen Jehovas bestand keine Fluchtgefahr; Flucht hätte bedeutet, ihrem Glauben abzuschwören. Viele sahen aber in der Lagerhaft eine Glaubensprüfung. Die SS nutzte dies, um die Häftlinge auch außerhalb des Lagers in den „Arbeitseinsatz“ zu schicken, etwa in die Haushalte der SS-Angehörigen.

Rosa Winkel – Vorwurf der Homosexualität
Der „rosa Winkel“ wurde an jene Häftlinge verteilt, denen Homosexualität vorgeworfen wurde. Dieser Haftgrund wurde vorwiegend bei Männern angeführt. Lesbische Frauen wurden für ihre „abweichende“ Sexualität aber oft als „Asoziale“ eingewiesen. In der IKF-Datenbank befindet sich unter dieser Kategorie „Vorwurf der Homosexualität“ kein Eintrag.


[1] Zur Zuweisung von Häftlingskategorien vgl. Florian Freund, Die Toten von Ebensee. Analyse und Dokumentation der im KZ-Ebensee umgekommenen Häftlinge
1943-1945 (Wien 2011) S. 339-354.
[2] Der rote Winkel wurde auch pauschal als nationale Kennzeichnung – verbunden mit dem Anfangsbuchstaben des jeweiligen Landes – eingesetzt, hier ist nur von den österreichischen Häftlingen die Rede.
[3] Maria Berner, Interview von Karin Korecky (1998).
[4] Lotte Brainin, IKF-Interview von Helga Amesberger (1999).
[5] Rosa Jochmann, Mit offenen Augen. In: Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth N. Trallori (Hg.): Ich geb dir einen Mantel, daß Du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstehen im KZ. Österreichische Frauen erzählen (Wien 1987) S. 177-187, hier: S. 182f.
[6] Rosa Winter, IKF-Interview von Helga Amesberger (1999).
[7] Christine Wagner, Interview von Christa Putz und Daniela Gahleitner (1998).
[8] Elisabeth Charlotte Dorowin-Zeissl, IKF-Interview von Hemma Mayrhofer (1999).


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