Gewalt und Bestrafung


Inhalt

Pflicht?
„Unnütze Fresser“
Bestrafungen
Terror und Solidarität
Mord zur Abschreckung
Umgang mit Tod und Verlust
Die Unmöglichkeit des Vergessens

Der Lageralltag war geprägt von Gewalt. Körperliche und psychische Gewalt wurden eingesetzt, um Menschen ihre Würde zu nehmen, ihren Willen zu brechen, den Zusammenhalt zwischen den Inhaftierten zu unterlaufen, um Macht auszuüben etc.

Pflicht?
Per Dienstvorschrift waren Misshandlungen an Häftlingen verboten, in der Praxis standen sie aber an der Tagesordnung. Körperliche Strafen hätten laut Dienstvorschrift erst nach einer Genehmigung des Reichsführers-SS und Chef der deutschen Polizei, Heinrich Himmler, verhängt werden dürfen. Auch die Durchführung einer genehmigten Strafe war durch die Dienstvorschrift vorgegeben. Beides wurde im Lageralltag nicht eingehalten. Die Häftlinge waren den Launen der AufseherInnen, manchmal auch jenen von Funktionshäftlingen, vollständig ausgeliefert:
„Einmal im Nachtdienst war eine Aufseherin, eine Österreicherin. Sie sind auch von Österreich? hab ich sie gefragt, dem Dialekt nach sind Sie bestimmt eine Wienerin? Nur das. Weiter hab ich nichts gesagt. Um Gottes willen, aus wars. Aus. So eine hübsche Frau. Ich seh sie heute noch – jung, hübsch, so lange Haare hat sie gehabt. Eine Peitsche hat sie gleich genommen, hat mich gehaut und den Hund auf mich gehetzt. Für nix. Von dem Hund hätt sie mich wollen zerbeißen lassen. Das wird ein langer Tod, hab ich mir gedacht, bis mich der richtig erwischt. Auf der Erd bin ich gelegen und der Hund hat mich überall gebissen. Eine Verwandte von mir, so eine Art Capofrau, ist hingegangen und hat für mich gebeten. Dann hat die Aufseherin dem Hund geschrien und ist gegangen.“ [1]

„Unnütze Fresser“
Kein Häftlingsleben war im KZ sicher, doch die nicht mehr arbeitsfähigen Häftlinge waren besonders bedroht, „selektiert“ zu werden. Unter Selektion verstand man in der Lagersprache die Trennung derjenigen Häftlinge, die noch am Leben bleiben durften, von jenen, die ermordet werden sollten. Zuständig dafür waren die Lagerärzte. Durch die ständige Angst vor Strafe und Selektion wurden die entkräfteten Häftlinge zur Arbeit angetrieben:
„Wenn man heute zu wem sagen würde, jetzt nehmens einen Krampen und eine Schaufel, wird der sagen, nein, danke schön, das mach ich nicht. Damals hat man es gemacht, weil man sich gesagt hat, na, wenn ich schaufel, hab ich eine Arbeit und brauch keine Angst mehr zu haben, daß ich in die Gaskammer komm. Ich kann wieder einen Tag weiterleben. Die Bereitschaft sich gefügig zu machen ist da gewesen, um zu überleben. Heute wunder ich mich ja darüber. […] Vielleicht, mein Gott, man redet heut leicht darüber, aber was hätt ein Widersetzen genutzt? Ich hätt 25 Stockhiebe gekriegt und wär tot gewesen.“ [2]
Auch das Ermorden der Häftlinge stand im Widerspruch zu Dienstordnung und Gesetz, denn Mord war im Dritten Reich – trotz allem – illegal.

Bestrafungen
Die Bestrafungen in Ravensbrück wie in anderen Konzentrationslagern für vermeintliche oder tatsächliche Verstöße gegen die Lagerordnung reichte von Essensentzug, Appellstehen, Inhaftierung im Bunker (Einzel- und Dunkelhaft mit Essensentzug) bis zur Prügelstrafe und Hinrichtung. Bei der Prügelstrafe erhielten die Häftlinge 25 Stock- oder Peitschenhiebe auf das nackte Gesäß, manchmal auch bis zu drei Durchgängen. Vermeintliche oder tatsächliche Sabotage wurde gar mit dem Tod geahndet.

Aloisia Hofinger erzählt von Bestrafungen, verübt an Polinnen, nach Sabotage bei Siemens sowie an Frauen, die wie sie aufgrund einer Beziehung zu einem Zwangsarbeiter inhaftiert waren:
„Haben sie [die Polinnen] immer gesagt, ich soll Fehler hineinmachen. ‚Mach Fehler hinein!‘ Dass sie nichts machen können damit. – Ich war ja zu feig, ich habe mich ja nicht getraut. Und die haben‘s aber getan. Und die sind in den Bunker gekommen. […] Dann haben sie so viel Schläge gekriegt wegen dem. Mein Gott na! (flüstert) Deswegen habe ja ich mich so viel gefürchtet! Mein Gott! Ich habe mich so viel gefürchtet! Ich habe ein paar Frauen gesehen, wenn sie sie zurückgebracht haben. Wie die da gelegen sind! Nein! Ganz aufgehauen auf den Nieren da hinten, und, und =. Furchtbar. […] Da habe ich mit einer geredet, das war so eine zarte Frau. Einmal, beim Marschieren, da bin ich mit ihr zusammengekommen. […] Ich habe zwar sehr wenig geredet mit den Häftlingen, ich habe mich so distanziert, weil – einfach, weil ich mich einfach nicht getraut habe. Weil ich mir gedacht habe, ich will mich nicht erwischen lassen! Und ich will wieder heim! Ich muß wieder heimkommen! Habe ich mir gedacht. Na habe ich mit der Frau geredet, dann hat sie mir’s erzählt. Die, die hat, mit einem Tschechen hat sie ein Kind gehabt, und sie war verheiratet. Und ihr Mann war [-]. Jetzt hat sie da die Schläge gekriegt. 75 Schläge, auf drei Mal. „Mein Gott!“ Habe ich gesagt, „wie haben Sie denn das überstanden?“ [3]

Terror und Solidarität
Um die Solidarität der Häftlinge untereinander zu brechen und Fluchten zu unterbinden, verhängten die AufseherInnen Kollektivstrafen. Als die niederösterreichische Sintezza Katharina Waitz zum zweiten Mal aus dem Strafblock floh, stand das gesamte Lager bis zu ihrer Ergreifung als Strafe auf dem Appellplatz. [4] Den Häftlingen des Strafblocks wurde für drei Tage das Essen gestrichen. Nachdem die SS Katharina Waitz wieder aufgegriffen hatte, sperrte man sie in den Strafblock zurück, wo sie von den ausgehungerten Häftlingen zu Tode geprügelt wurde.

Mord zur Abschreckung
In Ravensbrück fanden auch Hinrichtungen vor den Augen aller sich am Appellplatz befindlichen Häftlinge statt. Ziel der öffentlichen Hinrichtungen war es, den Widerstand im Keim zu ersticken:
„Einmal hat uns die SS geweckt, um vier in der Früh, alle zum Lagerplatz, wir müssen uns versammeln. Immer haben wir zeitig aufstehen müssen, diesmal aber war es besonders früh. Irgendetwas ist los, das haben wir gespürt. Eine fürchterliche Spannung ist gewesen. Kommt ein Auto herein beim Lagertor, die SS bringt so ein junges Mädchen daher, eine 16jährige Russin. Dann sehen wir schon, der Galgen ist beleuchtet, am Abend haben wir gar net bemerkt, daß die einen Galgen hergerichtet haben. Vom Himmler und was weiß ich hat einer geredet, und daß die Russin immer sabotiert hat und jetzt aufgehängt wird. Das sollt halt eine Warnung für uns sein. Du kannst das ja niemandem beschreiben: Wenn du da zuschauen musst, wie so ein Mädchen aufgehängt wird. Die meisten sind eh umgefallen.“ [5]

Umgang mit Tod und Verlust
Der Tod gehörte zum Alltag in Ravensbrück. Die Häftlinge gingen auf unterschiedliche Weise mit dem Tod um. Die Bewältigungsstrategien reichten von Abstumpfung bis hin zur Stärkung des Widerstandsgeistes:
„Oder wie sie gekommen sind, die Häftlinge, mit Leiterwagen. Darauf, was übergeblieben ist, was sie rausgezogen haben aus dem Krematorium, die Knochen sind ja net ganz verbrannt, es ist nur das Fleisch verbrannt. Die haben das genommen und haben es singend in den Wagen reingeschupft. Das ist dann verwendet worden für die Düngung der Felder. Und ich, ein junges Dirndl, wie ich war, hab gesagt, wie kann man da singen? Dann bin ich dahinter gekommen, das ist ja nur der Selbsterhaltungstrieb. Mit Gesang haben sie übertüncht, daß sie so eine Arbeit machen müssen.“ [6]
Hilde Zimmermann erzählte über das Sterben im Tuberkuloseblock und die Lagerung der Leichen im Waschraum:
„Das war dann eigentlich so, daß wenn es dann ruhig war, dann hast geschaut, und naja, dann war’s halt, dann ist’s eben gestorben, dann sind die Leichen rausgezerrt geworden und im Waschraum sind dann immer die Leichen gelegen, und wenn wir uns waschen mussten, trotzdem, auch wenn da die Leichen herumliegen. Und dann sind wir über die Leichen drüber zum Waschbecken und haben uns gewaschen. Das, ich spür den Geruch noch, und die (Räusper).“ [7]
Erzählungen vom Tod der FreundInnen oder Verwandten nehmen in fast allen Überlebendenberichten eine zentrale Stellung ein. So auch bei der späteren Nationalratsabgeordneten Rosa Jochmann, die ihre Genossin Käthe Leichter in Ravensbrück verloren hatte:
„Am Abend, bevor sie abtransportiert worden sind, hab ich mich mit Helene auf den jüdischen Block geschlichen. Das war ein Abschied, das kann man sich nicht schildern. Sie haben nicht gewusst, wohin sie kommen, weil es das erste Mal war, daß so ein Transport wegging. Aber sie habens geahnt. Alles, was sie hatten, haben sie uns gegeben, und Grüße an die Verwandten, an die Mutter. Wie wir dann wussten, daß sie im Gas waren, weißt, was da war? Wir haben keine Trauerkleider anziehen und keine Trauerfahne hissen können. Doch das Lager ist verstummt.“ [8]

Die Unmöglichkeit des Vergessens
Der erlebte Terror und das Mitansehen-Müssen des Sterbens ließen viele Häftlinge auch nach 1945 nicht los. Noch Jahrzehnte später sind die Erinnerungen an die vielen Toten im Lager lebendig:
“Ja, und diese Erlebnisse von diesen Lagern, die kann ich nicht loswerden, weil das schleppe ich überall mit. Ich sehe diese Toten dort, und alles, dieses schleppt man mit. Ja. Das kann uns keiner wegbringen. Auch die anderen haben so erzählt. Und so, bei der Nacht, wie oft träume ich, dass ich irgendwo im Lager bin und dass ich so schrecklich herumlaufe und suche, wo ich durchkommen könnte.“ [9]


[1] Rosa Winter, So viel wie eine Asche. In: Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth N. Trallori, (Hg.): Ich geb dir einen Mantel, daß Du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstehen im KZ. Österreichische Frauen erzählen (Wien 1987) S. 77-92, hier S. 84.
[2] Eva Einberger, Sterbliche Häftlinge . In: Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth N. Trallori, (Hg.): Ich geb dir einen Mantel, daß Du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstehen im KZ. Österreichische Frauen erzählen (Wien 1987) S. 89-92, hier S. 91.
[3] Aloisia Hofinger, IKF-Interview von Helga Amesberger (1999).
[4] Strebel, Das KZ-Ravensbrück. Geschichte eines Lagerkomplexes (Paderborn 2003) S. 280.
[5] Cilli Muchitsch, Wär doch gelacht. In: Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth N. Trallori, (Hg.): Ich geb dir einen Mantel, daß Du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstehen im KZ. Österreichische Frauen erzählen (Wien 1987) S. 39-49, hier S. 41.
[6] Friedel Burda, Zahlungsmittel Brot. In: Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth N. Trallori, (Hg.): Ich geb dir einen Mantel, daß Du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstehen im KZ. Österreichische Frauen erzählen (Wien 1987) S. 33-39, hier S. 33.
[7] Hilde Zimmermann, IKF-Interview von Brigitte Halbmayr (1998).
[8] Rosa Jochmann, Mit offenen Augen. In: Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth N. Trallori, (Hg.): Ich geb dir einen Mantel, daß Du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstehen im KZ. Österreichische Frauen erzählen (Wien 1987) S. 177-187, S. 183.
[9] Helene Igerc, IKF-Interview von Brigitte Halbmayr (1998).

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