Marianne S.

Geboren am 3. März 1903 in Sierning (Oberösterreich)
Verfolgungsgrund: Kriminell
Biografische Daten


Bittschreiben von Marianne S. an die Staatsanwaltschaft Wels vom 19. Februar 1939. Das Bittschreiben von Marianne S. an die Staatsanwaltschaft ist abgedruckt in: Sylvia Köchl/Christa Putz, Kriminell – ein Leben lang. Bestrafung und Verfolgung zweier Welserinnen vor, während und nach dem Nationalsozialismus, In: Stadt Wels (Hg.): Nationalsozialismus in Wels, Band 2 (Wels 2012) S. 203-221 hier S. 215.

„Engelmacherin“ [1]
Marianne S. wurde am 3. März 1903 in Sierning bei Steyr geboren. Sie besuchte fünf Klassen Volksschule und drei Klassen Hauptschule. Mit 19 Jahren heiratete sie und zog nach Wels. Ihr Mann Robert S. arbeitete bei der Eisenbahn, sie war Hausfrau. Robert hatte schon zwei uneheliche Kinder, für die er finanziell zu sorgen hatte. 1925 bekam Marianne S. einen Sohn. Zwischen 1928 und 1938 stand sie viermal vor Gericht, weil sie an anderen Frauen Abtreibungen durchgeführt hatte. Marianne gab an, aus finanzieller Not gehandelt zu haben. 1928 verurteilte sie das Kreisgericht Wels zu einer achtmonatigen Freiheitsstrafe. 1929 und 1933 erfolgten zwei weitere Verurteilungen wegen desselben Delikts zu je sechs Monaten schwerem Kerker.

Verhaftung während der NS-Zeit
1938 wendeten sich eine schwangere Magd und deren Freund, ein Knecht, über einen Dritten an Marianne. Bei der Abtreibung kam es zu Komplikationen. Die Magd musste in ein Spital eingeliefert werden. Der behandelnde Arzt zeigte daraufhin alle Beteiligten an. Damit stand Marianne zum vierten Mal vor Gericht. Die Verhandlung dauerte 20 Minuten. Alle Angeklagten wurden schuldig gesprochen. Das Paar erhielt eine Strafe auf Bewährung. Der Mittelsmann musste zwei Monate in Haft, Marianne für sechs Monate.

KZ-Haft
Anstatt ins Gefängnis wurde sie am 16. Juli 1938 von der Welser Kriminalpolizei in das Frauen-KZ Lichtenburg eingewiesen. Als Kriminelle musste sie den Grünen Winkel tragen. Zur gleichen Zeit kam es zu einem Briefwechsel zwischen dem Welser Gericht und dem KZ Lichtenburg: Das Gericht bestand darauf, dass Marianne S. noch ihre sechsmonatige Haftstrafe absitzen müsse. Tatsächlich wurde sie im Winter 1938/39 in Gefängnishaft genommen, dann aber wieder ins KZ zurückgebracht. Nach der Schließung des Frauen KZ Lichtenburg kam sie mit den anderen noch in der Lichtenburg verbliebenen Frauen in das neu eröffnete KZ Ravensbrück. 1940 wurde sie Blockälteste in Block 10. Laut Angaben ihrer Mithäftlinge verhielt sie sich in dieser Position, in der sie eine gesamte Baracke unter sich hatte, sehr korrekt. 1942 gelangte Marianne an die Spitze der Häftlingshierarchie: sie wurde Lagerälteste.

Nach 1945
1947 stand Marianne S. wieder vor Gericht. Diesmal musste sie sich wegen ihrer Tätigkeit als Funktionshäftling verantworten. Sie gab an, als Lagerälteste von früh bis spät in der Kanzlei der Lagerschreibstube beschäftigt gewesen zu sein. Als Blockälteste war sie gezwungen, für Ordnung unter den Häftlingen zu sorgen. Wenn Frauen Diebstähle begangen hatten, ohrfeigte sie diese. Eine Meldung an die SS – was für die Frauen lebensbedrohlich hätte sein können – unterließ sie aber. Zahlreiche Frauen, die mit Marianne inhaftiert waren, sagten zu ihren Gunsten aus. Sie soll sogar den politischen Widerstand im Lager unterstützt haben. Die Anklage wurde fallengelassen. Die Frau, welche Marianne angezeigt hatte, bezeichnete der Richter als „notorische Lügnerin“.

1948 bat sie um die Tilgung ihrer Vorstrafen, da sie ihrer Meinung nach für diese mit einer sechsjährigen KZ Haft genug gebüßt habe und ihr Sohn aufgrund der Vorstrafen der Mutter seine Arbeit verlor. Ihr Antrag wurde abgelehnt.

Am 27. Mai 1988 verstarb Marianne S. in Salzburg.

[1] Wir danken Christa Putz und Sylvia Köchl für die Bereitstellung ihrer Recherchen zur Biografie von Marianne S.

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