BurgenländerInnen im KZ Ravensbrück „Zigeuner“ Verfolgung der „Zigeuner“ in der Zwischenkriegszeit Schulverbot Der Transport von 440 „ZigeunerInnen“ aus dem Burgenland
BurgenländerInnen im KZ Ravensbrück
Von 1.576 in Ravensbrück inhaftierten ÖsterreicherInnen kennen wir den Geburtsort.
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Davon sind mehr als ein Fünftel (21,5% bzw. 339 Frauen und Männer) im heutigen Burgenland geboren; der Großteil von ihnen lebte auch zum Zeitpunkt der Verhaftung noch in diesem Bundesland. Damit zählen die BurgenländerInnen – neben den WienerInnen (27%) – zu den größten Gruppen unter den österreichischen Ravensbrück-Häftlingen.
Das Burgenland stellt hinsichtlich der Zusammensetzung nach Verfolgungsgründen eine Besonderheit dar: Fast alle in Ravensbrück inhaftierten Frauen und Männer (97,5%) wurden als „Zigeuner“ verfolgt, die anderen wegen politischer Betätigung.
„Zigeuner“ Als „Zigeuner“ verfolgt wurden in Österreich – lange vor dem Nationalsozialismus – Personen, die mehr oder weniger willkürlich von den Behörden als „Zigeuner“ registriert wurden. [2] Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden jene als „Zigeuner“ verfolgt, die fremd und arm waren, und die als von Ort zu Ort Fahrende ihr Gewerbe ausübten oder Gelegenheitsarbeiten verrichteten. Die so als „Zigeuner“ bezeichneten Menschen waren vor allem Roma und Sinti, aber auch andere Gruppen von Armen. Durch Behinderungen und Verbote, ein Gewerbe als Umherziehende auszuüben, verarmten die „Zigeuner“ noch mehr. Gleichzeitig untersagten ihnen die örtlichen Behörden, sich niederzulassen. Mit der Erfindung der „Rasse“ im Zeitalter der Aufklärung wurde den „Zigeunern“ eine „primitive Rasse“ unterstellt. Der mobile Lebensstil wurde im Zuge dessen zu einer unveränderbaren Eigenschaft minderwertiger Menschen. Jeder, der in den Augen der Polizei als „Zigeuner“ zu betrachten war, wurde – egal, ob eine gesetzliche Basis bestand oder nicht – systematisch verfolgt. [3]
Verfolgung der „Zigeuner“ in der Zwischenkriegszeit Das Burgenland, das erst 1921 zu Österreich kam, war das ärmste Bundesland, wo gleichzeitig die meisten als „Zigeuner“ gebrandmarkten Menschen lebten. [4] Anders als im übrigen Österreich waren sie schon lange sesshaft und bildeten eine ländliche, völlig verarmte Unterschicht. Als das Burgenland Anfang der 1930er Jahre schwer von der Wirtschaftskrise getroffen wurde, machten Politiker aller im Burgenland vertreten Parteien die „Zigeuner“ – die aber die Krise nicht verursacht hatten – für die schwierige finanzielle Lage der Gemeinden verantwortlich. Da es während der Weltwirtschaftskrise keine Arbeit gab, waren die „Zigeuner“, wie viele andere auch, auf Fürsorgeleistungen der Gemeinden angewiesen. Die Gemeinden wollten aufgrund der leeren Gemeindekassen und des Unwillens der übrigen Bevölkerung für die „Zigeuner“ kein Geld ausgeben bzw. kürzten sie die Fürsorgezahlungen. Eine weitere Verarmung war die Folge.
Schulverbot Gleich nach dem „Anschluss“ im März 1938 war es im Burgenland für „Zigeunerkinder“ nicht mehr möglich, die Schule zu besuchen. [5] Katharina Horvath musste diese Maßnahme, die auf Druck der burgenländischen Bevölkerung und der NSDAP vollzogen wurde, am eigenen Leib verspüren:
Der Transport von 440 „ZigeunerInnen“ aus dem Burgenland Am 5. Juni 1939 ordnete das Reichskriminalpolizeiamt an, 3000 „Zigeuner“ in Konzentrationslager einzuweisen, 1012 wurden tatsächlich verhaftet. [8] Am 29. Juni 1939 erreichten 440 Jugendliche und Frauen im Alter von 14 bis 50 Jahren das KZ Ravensbrück. Zwei Drittel der Deportierten waren unter 30 Jahre alt, darunter mehr als die Hälfte 14 bis 19 Jahre. [9] Sie wurden unter den Nummern 1514-1953 als Zigeunerinnen und als „arbeitsscheu“ registriert. Für die Deportation nach Ravensbrück wurden die Frauen und Mädchen von allen Ortschaften des Bundeslandes in Sammellager gebracht. Katharina Horvath war damals 15 Jahre alt. Sie erinnert sich an die Verhaftung und die einzelnen Zwischenstationen:
Die Kinder der bei den Verhaftungsaktionen 1938/39 deportierten „Zigeunerinnen“ blieben unversorgt in den Ortschaften zurück und waren darauf angewiesen zu betteln, da ihnen die nach gültiger Gesetzeslage zustehenden Fürsorgeleistungen vorenthalten wurden. Die Behörden sahen darin aber nur einen weiteren Beweis für die „Asozialität“ der „Zigeuner“ und forderten, dass die restlichen „Zigeuner“ abtransportiert werden. [12] Nur 15 bis 19 Prozent der als „Zigeuner“ Verfolgten überlebten den Nationalsozialismus. [13] [1] Die im Folgenden angeführten Zahlen beziehen sich auf die quantitative Auswertung der vom IKF durchgeführten Namentlichen Erfassung von ÖsterreicherInnen im KZ Ravensbrück. Insgesamt konnten 2.713 Frauen und Männer recherchiert werden. Nicht zu allen Personen liegen sämtliche Daten vor; die statistischen Auswertungen betreffen daher oft eine kleinere Anzahl. Vgl. im Folgenden Helga Amesberger, Brigitte Halbmayr, ÖsterreicherInnen im KZ Ravensbrück. Quantitative Auswertung der Datenbank (unveröffentlichter Forschungsbericht, Wien 2012). [2] Vgl. Florian Freund, Oberösterreich und die ‚Zigeuner‘. Politik gegen eine Minderheit im 19. und 20. Jahrhundert (Oberösterreich und der Nationalsozialismus Bd. 10, Linz 2010). [3] Zur polizeilichen Verfolgung der „Zigeuner“ in Österreich vgl. Florian Freund, Der polizeilich-administrative Zigeunerbegriff. Ein Beitrag zur Klärung des Begriffes Zigeuner. In: Zeitgeschichte (2/2003) S. 76-90. [4] Der Absatz folgt Florian Freund, Gerhard Baumgartner, Harald Greifeneder, Vermögensentzug, Restitution und Entschädigung der Roma und Sinti (Veröffentlichung der Österreichischen Historiker Kommission, Bd. 23/2, Wien 2004). [5] Florian Freund, Oberösterreich, S. 162. [6] In diesem Fall irrte sich Katharina Horvath, nicht die SS sondern die Bevölkerung, die SA und die Mitglieder der örtlichen NSDAP haben sie aus der Schule vertrieben. [7] Katharina Horvath, IKF-Interview von Helga Amesberger (1999). [8] Freund, Oberösterreich, S. 175. [9] Dieser Absatz folgt in komprimierter Form Florian Freund, Oberösterreich und die ‚Zigeuner‘ Politik gegen eine Minderheit im 19. und 20. Jahrhundert (Linz 2010). Die Lebensgeschichten von vier Frauen dieses Transports sind dokumentiert in: Helga Amesberger, Brigitte Halbmayr, Vom Leben und Überleben – Wege nach Ravensbrück. Das Frauenkonzentrationslager in der Erinnerung, Band 2: Lebensgeschichten (Wien 2001). [10] Katharina Horvath, IKF-Interview von Helga Amesberger (1999). [11] Von Frauen, die in andere Lager weitertransportiert worden waren, liegen keine Zahlen über deren weiteres Schicksal vor. [12] Freund, Oberösterreich, S. 176. [13] Vgl. Freund, Oberösterreich.
„Zigeuner“ Als „Zigeuner“ verfolgt wurden in Österreich – lange vor dem Nationalsozialismus – Personen, die mehr oder weniger willkürlich von den Behörden als „Zigeuner“ registriert wurden. [2] Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurden jene als „Zigeuner“ verfolgt, die fremd und arm waren, und die als von Ort zu Ort Fahrende ihr Gewerbe ausübten oder Gelegenheitsarbeiten verrichteten. Die so als „Zigeuner“ bezeichneten Menschen waren vor allem Roma und Sinti, aber auch andere Gruppen von Armen. Durch Behinderungen und Verbote, ein Gewerbe als Umherziehende auszuüben, verarmten die „Zigeuner“ noch mehr. Gleichzeitig untersagten ihnen die örtlichen Behörden, sich niederzulassen. Mit der Erfindung der „Rasse“ im Zeitalter der Aufklärung wurde den „Zigeunern“ eine „primitive Rasse“ unterstellt. Der mobile Lebensstil wurde im Zuge dessen zu einer unveränderbaren Eigenschaft minderwertiger Menschen. Jeder, der in den Augen der Polizei als „Zigeuner“ zu betrachten war, wurde – egal, ob eine gesetzliche Basis bestand oder nicht – systematisch verfolgt. [3]
Verfolgung der „Zigeuner“ in der Zwischenkriegszeit Das Burgenland, das erst 1921 zu Österreich kam, war das ärmste Bundesland, wo gleichzeitig die meisten als „Zigeuner“ gebrandmarkten Menschen lebten. [4] Anders als im übrigen Österreich waren sie schon lange sesshaft und bildeten eine ländliche, völlig verarmte Unterschicht. Als das Burgenland Anfang der 1930er Jahre schwer von der Wirtschaftskrise getroffen wurde, machten Politiker aller im Burgenland vertreten Parteien die „Zigeuner“ – die aber die Krise nicht verursacht hatten – für die schwierige finanzielle Lage der Gemeinden verantwortlich. Da es während der Weltwirtschaftskrise keine Arbeit gab, waren die „Zigeuner“, wie viele andere auch, auf Fürsorgeleistungen der Gemeinden angewiesen. Die Gemeinden wollten aufgrund der leeren Gemeindekassen und des Unwillens der übrigen Bevölkerung für die „Zigeuner“ kein Geld ausgeben bzw. kürzten sie die Fürsorgezahlungen. Eine weitere Verarmung war die Folge.
Schulverbot Gleich nach dem „Anschluss“ im März 1938 war es im Burgenland für „Zigeunerkinder“ nicht mehr möglich, die Schule zu besuchen. [5] Katharina Horvath musste diese Maßnahme, die auf Druck der burgenländischen Bevölkerung und der NSDAP vollzogen wurde, am eigenen Leib verspüren:
„Die SS [6] hat uns von der Schule hinausgepeitscht. Der Oberlehrer hat gesagt: ‚Die Kinder sind alle unschuldig? Warum werden sie gehaut?‘ […] Dann haben wir nimmermehr in die Schule gehen, auch nicht Kroatisch lernen. Nichts. Nichts haben wir dürfen.“ [7]
Der Transport von 440 „ZigeunerInnen“ aus dem Burgenland Am 5. Juni 1939 ordnete das Reichskriminalpolizeiamt an, 3000 „Zigeuner“ in Konzentrationslager einzuweisen, 1012 wurden tatsächlich verhaftet. [8] Am 29. Juni 1939 erreichten 440 Jugendliche und Frauen im Alter von 14 bis 50 Jahren das KZ Ravensbrück. Zwei Drittel der Deportierten waren unter 30 Jahre alt, darunter mehr als die Hälfte 14 bis 19 Jahre. [9] Sie wurden unter den Nummern 1514-1953 als Zigeunerinnen und als „arbeitsscheu“ registriert. Für die Deportation nach Ravensbrück wurden die Frauen und Mädchen von allen Ortschaften des Bundeslandes in Sammellager gebracht. Katharina Horvath war damals 15 Jahre alt. Sie erinnert sich an die Verhaftung und die einzelnen Zwischenstationen:
„Und dann bin ich auf ein Lastauto hinaufgekommen, zu anderen Zigeunern dazu. […] Und dann sind wir gesammelt worden, in Eisenstadt in den Fürstlichen Stallungen, wo früher die Pferde drinnen waren. […] Bis zwei Uhr in der Früh. Da haben sie uns abtransportiert. Keiner hat zu uns dürfen, keiner reden mit uns. […] Dann haben sie uns wieder mit Lastauto zum Bahnhof gefahren. Und wo sind wir hingekommen? Wissen Sie wohin? Nach Fischamend, das ist in Niederösterreich. Ich kann mich noch so gut an die Halle erinnern. Ob das vielleicht eine ausgebrannte Fabrik war, weiß ich nicht. Nur mit Plastik war sie abgedeckt. […] Dann haben sie uns wieder alle in den Zug hinein und uns nach Bayern gebracht. Dort sind wir den Deutschen übergeben worden. Das waren Leute, oh! ‚Ihr Arschlöcher! Ihr Zigeuner! Ihr verdreckten Schweine! Wollt ihr ewig leben! Gleich seid ihr, wo ihr hingehört!‘ So haben sie uns angeschrien. Wie ich das gehört habe, habe ich gedacht, ich muss sterben dort. Dann sind sie losgefahren mit uns. Wir haben keine Ortschaften gesehen. Wie wir da [in Ravensbrück] angekommen sind, sind wir eineinhalb Tage unterwegs gewesen.“ [10]Von 50 Frauen dieses Transports ist bekannt, dass sie in Ravensbrück bzw. in der Tötungsanstalt Bernburg ihr Leben lassen mussten. [11]
Die Kinder der bei den Verhaftungsaktionen 1938/39 deportierten „Zigeunerinnen“ blieben unversorgt in den Ortschaften zurück und waren darauf angewiesen zu betteln, da ihnen die nach gültiger Gesetzeslage zustehenden Fürsorgeleistungen vorenthalten wurden. Die Behörden sahen darin aber nur einen weiteren Beweis für die „Asozialität“ der „Zigeuner“ und forderten, dass die restlichen „Zigeuner“ abtransportiert werden. [12] Nur 15 bis 19 Prozent der als „Zigeuner“ Verfolgten überlebten den Nationalsozialismus. [13] [1] Die im Folgenden angeführten Zahlen beziehen sich auf die quantitative Auswertung der vom IKF durchgeführten Namentlichen Erfassung von ÖsterreicherInnen im KZ Ravensbrück. Insgesamt konnten 2.713 Frauen und Männer recherchiert werden. Nicht zu allen Personen liegen sämtliche Daten vor; die statistischen Auswertungen betreffen daher oft eine kleinere Anzahl. Vgl. im Folgenden Helga Amesberger, Brigitte Halbmayr, ÖsterreicherInnen im KZ Ravensbrück. Quantitative Auswertung der Datenbank (unveröffentlichter Forschungsbericht, Wien 2012). [2] Vgl. Florian Freund, Oberösterreich und die ‚Zigeuner‘. Politik gegen eine Minderheit im 19. und 20. Jahrhundert (Oberösterreich und der Nationalsozialismus Bd. 10, Linz 2010). [3] Zur polizeilichen Verfolgung der „Zigeuner“ in Österreich vgl. Florian Freund, Der polizeilich-administrative Zigeunerbegriff. Ein Beitrag zur Klärung des Begriffes Zigeuner. In: Zeitgeschichte (2/2003) S. 76-90. [4] Der Absatz folgt Florian Freund, Gerhard Baumgartner, Harald Greifeneder, Vermögensentzug, Restitution und Entschädigung der Roma und Sinti (Veröffentlichung der Österreichischen Historiker Kommission, Bd. 23/2, Wien 2004). [5] Florian Freund, Oberösterreich, S. 162. [6] In diesem Fall irrte sich Katharina Horvath, nicht die SS sondern die Bevölkerung, die SA und die Mitglieder der örtlichen NSDAP haben sie aus der Schule vertrieben. [7] Katharina Horvath, IKF-Interview von Helga Amesberger (1999). [8] Freund, Oberösterreich, S. 175. [9] Dieser Absatz folgt in komprimierter Form Florian Freund, Oberösterreich und die ‚Zigeuner‘ Politik gegen eine Minderheit im 19. und 20. Jahrhundert (Linz 2010). Die Lebensgeschichten von vier Frauen dieses Transports sind dokumentiert in: Helga Amesberger, Brigitte Halbmayr, Vom Leben und Überleben – Wege nach Ravensbrück. Das Frauenkonzentrationslager in der Erinnerung, Band 2: Lebensgeschichten (Wien 2001). [10] Katharina Horvath, IKF-Interview von Helga Amesberger (1999). [11] Von Frauen, die in andere Lager weitertransportiert worden waren, liegen keine Zahlen über deren weiteres Schicksal vor. [12] Freund, Oberösterreich, S. 176. [13] Vgl. Freund, Oberösterreich.