Wir würden gerne am Anfang wissen, was du von deinem Elternhaus und deiner Kindheit in Erinnerung hast?
Oja, also von meinem Elternhaus, das war sehr traurig. Meine Mutter ist mit 36 Jahren gestorben und hat vier Kinder hinterlassen. Der Vater war ein Rohling, weil die Mutter hat dauernd ein Kind gekriegt, oder hat einen Abortus gehabt, und an dem letzten Abortus ist sie gestorben. Denn in den alten Arbeiterfamilien, die armen Mütter, die konnten ja keinen Arzt haben, die haben sich das alles mit Häkelnadeln oder Stricknadeln selber aufgemacht. Das war meine Mutter auch, ja.
Und sie ist als letztes gestorben, vergiftet natürlich, Blutvergiftung, und aus. Wir Kinder sind auseinandergeteilt worden. Erst hat der Vater [es] versucht mit Hausgehilfinnen, und so weiter, das hat nicht geklappt, und dann war irgendwer, da hat man versucht, mit dem Dienstmädchen auch zu reden. Kurzum, er hat dann dieses Mädchen geheiratet, also habe ich eine Stiefmutter bekommen. Und unsere Kindheit war immer so, dass man nie eine Liebe gehabt hat. Wir sind angezogen worden, gewaschen worden und alles, aber sonst war weiter nichts los daheim.
Weil so eine Liebe, eine zärtlich Liebe, das hat es nicht gegeben. Der Vater ist in die Arbeit gegangen, der war auf der Bahn Angestellter, und dann ist er nach Hause gekommen, hat [ihm] irgendwie ein Kind nicht gepasst, dann haben wir halt alle miteinander Hiebe gekriegt. So war das halt. Sie hat dann eigene Kinder gekriegt.
Und so war meine Kindheit. Mit 14 Jahren haben sie mich rausgehaut und so bin ich halt in den Dienst gegangen. Als dann der Umbruch gekommen ist, und der acht Stunden-Tag, dann habe ich mir gedacht: ‚Nein, da gehe ich nicht mehr in den Dienst, da werde ich vielleicht in die Fabrik gehen, weil da kann man mehr verdienen und kann ich mir selber was kaufen‘. Weil mein Vater hätte mir nicht einmal ein Taschentüchl gekauft, ich habe nichts gehabt. Gott sei Dank war die Großmutter noch da, und die Großmutter hat uns halt immer wieder ein bisserl [was zugesteckt], immer wieder die Großmutter, ja.
So war das halt. Ich bin dann in die Fabrik gegangen und das Notwendigste habe ich mir halt gekauft, was ich halt konnte. Und dann bin ich später in die Heilmittelstelle gekommen, ich weiß nicht, die kennt ihr vielleicht eh alle miteinander, ja, und in der Heilmittelstelle war ich zehn Jahre, und von dort bin ich dann verhaftet worden. Ich war dort Betriebsrätin, ich habe [mich] angelernt gehabt bei den Frauen. Und das war ja immer so, wenn eine den Mund aufgerissen hat, das war ja in der SPÖ genau dasselbe, dann warst du ein Kommunist.
Und ich habe natürlich dann sofort begonnen, wie die Nazis [gekommen sind], ich war immer gegen die Nazi, wir haben auch schon Nazis im Betrieb gehabt, und einen Nazi-Doktor. Und mit dem habe ich eigentlich ganz einen guten Kontakt gehabt, mehr als mit dem sozialistischen Betriebsleiter, weil der hat uns immer mit der Stoppuhr [geschunden]. Na, dann haben wir sofort begonnen, wie die Nazis dann einmarschiert [sind], und jeder hat gewusst, ich bin ein Nazi-Feind, [ich bin] gegen die Nazis. Und es war dann eine Versammlung, es hat geheißen, wir müssen alle aufstehen und müssen zu dieser Siegesfeier gehen.
Ich habe sehr viel Einfluss gehabt auf die Frauen, weil ich war die Betriebsrätin, und die haben mich sehr gern gehabt und da haben sie gesagt: „Ja Berner Mizzi, sollen wir gehen? Sollen wir hingehen? Sollen wir auch hin?“ Sage ich: „Macht, wie ihr wollt, da kann ich dazu nichts sagen“, weil die haben alle ihre Männer arbeitslos gehabt und sie haben müssen arbeiten. Sage ich: „Da kann ich keinen Rat geben.“ Sagen sie: „Was machtst du?“ Sage ich: „Na, ich gehe nicht!“ Und so war das ja auch, ich bin ja nicht gegangen.
Also schön, es war nicht schön. Es war auch für mich nicht schön, es waren Betriebsversammlungen, und da hat man gehört: „Heil Hitler“, und den Hitler reden, und alle sind aufgestanden und haben „Heil Hitler“ [gerufen], und ich bin gesessen und habe die Hände im Sack gehabt. Und das war für mich auch nicht schön, muss ich sagen. Das war kein gutes Gefühl. Und die Männer und alle haben auf mich geschaut: „Was macht denn die?“ Ich war alleine.
Na, dann habe ich mir gedacht, das dauert sowieso nicht lange, hat auch nicht mehr lange gedauert, gell. Es war dann vielleicht 14 Tage, oder so etwas, habe ich mich so durchgekämpft, ja, und alle haben mich bewundert oder bemitleidet. Und ich habe mir gedacht: „Ihr seid alle so feige Kanaillen! Ich alleine muss [kämpfen].“ Na schön, und dann bin ich eh verhaftet worden, sowieso, nicht, aus.
Es hat sich dann herausgestellt, dass das Kommunisten waren. Ich war ja nie ein Kommunist, ja? Also das waren Kommunisten, und ich habe aber gesagt: „Passt auf, ich bin kein Kommunist, aber ich arbeite trotzdem mit euch, illegal, [weil] wir haben die gleiche Linie, wir wollen das gleiche Ziel verfolgen, gegen die Nazis arbeiten wir alle, da arbeite ich mit euch mit. Aber ich bin kein Kommunist und ich will auch kein Kommunist sein. Auf gewerkschaftlicher Basis, bitte schön, arbeite ich mit euch.“ Und so bin ich eigentlich als Kommunist eingesperrt worden, und zwar war das Urteil „Hochverrat“ und „kommunistische Umtriebe“, hat das geheißen.
Also da bin ich verurteilt worden zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus und sechs Jahren Ehrverlust. Und das Zuchthaus habe ich abgesessen, also ich bin eine Zuchthäuslerin, bitteschön, aber gleich anschließend ist gesagt worden: „Nach der Verbüßung der Zuchthausstrafe: Umerziehung, ins Lager.“ Aber das haben wir schon ganz genau gewusst, dass ich dann nach Ravensbrück ins Lager komme. Und gleichzeitig haben sie dann dazugeschrieben, in meinem Akt steht dann: „Rückkehr unerwünscht“.
Und in Ravensbrück waren schon alle möglichen, mit denen ich in Krems, im Landesgericht und überall zusammen war, dort. Die meisten haben gesagt: „Jetzt kommt bald die Berner Mizzi, die Berner Mizzi muss auch schon bald kommen.“ Also dann war ich da und das war ein Lauffeuer. Die Rosl ist gerade rausgekommen aus dem Bunker, die ist eingesperrt gewesen im Bunker, die Jochmann Rosl. Dann sieht sie mich auf einmal und sagt: „Mein Gott, bist auch da.“ Weil in Krems waren wir Zelle an Zelle, und da haben wir oft miteinander telefoniert durch‘s Klo.
August ’43 bin ich nach Ravensbrück gekommen. Aber das war dann so, dass alle unsere Genossen, unsere guten Leute haben die besten Funktionen im Lager besetzt gehabt, die seinerzeit die Kriminellen gehabt haben. Aber unsere Leute haben versucht, die guten Positionen zu erringen, damit sie irgend etwas tun können. Und jeder hat schon getan, was er konnte. Und mich haben sie Gott sei Dank in den Arbeitseinsatz hineingegeben, und das war eine sehr wichtige Position, weil da habe ich die ganze Liste gehabt.
Jeden Tag sind Transporte gekommen und Transporte gegangen, und ich habe das müssen eintragen und austragen, und so weiter, und ich wusste, wann jede da ist, das war ja sehr wichtig. Und wie dann welche gekommen sind, da habe ich darüber ein besonderes Zeichen machen müssen, die sind besonders gefährdet gewesen. Und da habe ich schon begonnen, irgendwie zu helfen, Leute herauszuziehen, irgendwo zu verstecken, oder [ihnen] eine andere Nummer zu geben, von Verstorbenen, von Toten [Nummern] gestohlen, und so weiter. Da hat man solche Sachen gemacht.
Ja. Und dann, mit eitrigen Füßen sind sie oft gekommen zu uns in den Arbeitseinsatz. „Wir können das nicht mehr machen, wir können das nicht mehr machen, helft uns, helft uns!“ Und die Aufseherin-, ich kann mich erinnern an einen Fall, da ist wieder eine zu uns gekommen, das Eiter ist ihr nur so runtergeronnen beim Fuß. Unsere Aufseherin vom Arbeitseinsatz [sagte]: „Was will die da draußen? Arbeiten will sie nicht. Die will nicht arbeiten!“ Und da ist sie reingegangen und es war Winter und kalt, und hat einen Kübel Wasser genommen und hat sie angeschüttet. Und sie ist erfroren. Sie ist dort gestanden und ist gestorben.
Wie die das gemacht hat, die Aufseherin, sagt die Anna Hand, die mit mir gearbeitet hat, beim Arbeitseinsatz: „Das ist ja Mord!“ Und da ist der Aufseher gekommen, der eine, und hat ihr rechts und links eine runtergehaut und er hat gesagt: „Kusch!“, oder so irgendwas. Und ich habe mir gedacht: um Gottes Willen, jetzt werden sie die Anna, was weiß ich, wegführen oder irgendetwas. Gott sei Dank haben sie ihr gar nichts getan, gehaut haben sie sie ein bisserl. Aber die [andere] ist gestorben, erfroren ist sie da
Zu mir ist einmal eine gekommen, im Arbeitseinsatz, und sagt: „Ich bin eine Kriminelle. Und ich weiß, dass ihr Politischen alles Mögliche tut“, hat sie gesagt, „aber wir haben auch gehört, dass ihr auch anderen helft, nicht nur den Politischen. Wir brauchen auch Hilfe, wir haben eine Kranke liegen bei uns, und die braucht eine Hilfe.“ [Da] haben wir geholfen. [Dann] hat sie gesagt, die eine: „Jetzt kann ich dir eines sagen. Es war immer eine Kluft zwischen den Kriminellen und den Politischen, ja, ihr habt uns immer verachtet, ihr habt uns nie angeschaut, aber jetzt weiß ich, dass auch ihr uns helfen könnt.
und ihr habt uns auch geholfen, und jetzt kann ich dir was sagen:“ Zu mir hat dann die eine gesagt: „Ich kann dir jetzt was sagen: Auch wir haben unsere Verbindungen, und wir können auch etwas tun für euch, wenn ihr einmal was braucht. Du brauchst es nur [zu] sagen, brauchst nur mich rufen [zu] lassen und du wirst sehen, dass wir dir helfen können.“ Und das war wirklich so. Ich bin einmal hingegangen in diesen Trakt, wo die Kriminellen waren, und habe sie herausrufen lassen.
Ja, die haben gehabt Zucker, Zigaretten, alles haben die gehabt, das haben wir alles nicht gehabt. Aber die haben sich das auch irgendwie beschaffen können. „Ja, da können wir dir helfen, was brauchst du, was brauchst du?“ Und da haben wir eine Kranke gehabt, die war schon zum Sterben. Und einen einzigen Wunsch hat sie noch gehabt: „Ich möchte eine Zitrone haben.“ Ja, wo nehmen wir eine Zitrone her, nicht? Die könnte man nur von der SS-Küche haben, nicht. Und die Kriminelle hat gesagt: „Ich bringe dir die Zitrone“. Und sie hat die Zitrone gebracht.
Und die Sterbende hat die Zitrone in der Hand gehabt: „Die Zitrone.“ Und sie ist gestorben mit der Zitrone in der Hand. Solche Fälle sind halt auch gewesen. Und die Kriminellen. Man kann nicht alle verachten, wenn sie kriminell sind. Das war auch so ein Stück.
Man hat ihnen den Fuß geöffnet, und zwar waren das schöne, junge Polinnen. Und die Polinnen sind sehr fromm, und die wollten nie ihren Körper herzeigen, weil sie waren fromm. Man hat ihnen den Fuß aufgemacht, hat Glasscherben hineingegeben und Nägel hineingegeben und alles Mögliche, um zu wissen, wie man einem Soldaten im Krieg helfen kann.
Schau, es ist so vieles geschehen. Was man alles selber nicht mehr weiß und auch vieles nicht gewusst hat. Die Kinder, die gekommen sind, [bekamen] keine Milch, kein nichts. Die Mutter hat ein Kind geboren, ja, was soll sie denn tun? Keine Windel, keine Milch, kein gar nichts. Die Frau hat selber auch oft keine Milch gehabt, weil sie selber verhungert war. Na, was ist mit dem Kind geschehen? Es ist gestorben. Na, diese Geschichte, das weiß sie [Lotte] ja eh, gell. Was man dann gemacht hat, die Weihnachtsfeier.
Aber die Kinderfeier, die wir gehabt haben, die war sehr rührend auch. Da haben wir den SS-Mann ersucht, er soll zustimmen, dass unsere Waldkolonne ein Bäumchen bringt. Und dass man halt irgendwie eine Weihnachtsfeier macht für die Kinder, für alle Kinder. Das waren ja internationale Kinder, die haben ja untereinander nicht reden können. Und das ist tatsächlich geschehen
Er hat schon erlaubt, eine Weihnachtsfeier, aber wie wir das alles gemacht haben, das haben sie natürlich nicht gewusst. Und jetzt ist alles zusammengetragen worden. Wir haben das ganze Brot hergegeben, und da haben wir Torten draus gemacht und geschnitten. Für die Kinder haben wir das mit den Tellern hingegeben. Und dann haben wir die Kinder hereingeholt, das war so rührend. Die ganz Kleinen, und dann die Größeren, nach und nach sind sie gekommen. Einen ganzen Block haben wir ausgeräumt, für diese Kinder.
Und die Toni Bruha, die Minkerl, die Jursa hat machen lassen diese Kasperlbühne, und die Toni Bruha hat ein Kasperlgedicht gemacht. Also die Kinder sind gekommen, und sie hat dann von dem Kasperl erzählt. Und die Kinder sind gekommen, und eh sind sie geprügelt worden noch und noch, und leise sind sie hereingekommen, rechts und links geschaut, ob da nicht irgendwas passiert mit ihnen. Dann hat man ihnen Platz angewiesen und jeder hat halt seinen Platz gehabt. Die Mädchen ein Schürzerl oder ein Kleiderl oder das, und die Buben ein Hauberl.
Dann haben sie dort leise, so langsam genommen. Und dann hat die Toni angefangen: „Jetzt erzähl‘ ich von dem Kasperl und von dem Krokodil“, ja eben diese Geschichte. Und alles war still und ruhig. Und die Kinder haben sich nicht getraut, nur zu lachen. Plötzlich hat einer angefangen, wie der Kasperl das Krokodil schlägt, hat er gelacht. Und alle anderen Kinder haben zu lachen angefangen und haben sich gefreut und haben sich angeschaut, was jeder auf seinem Teller hat, und haben das Tortenstückerl gegessen.
Also es war fröhlich rundherum. Plötzlich geht die Tür auf und es kommt der Obersturmbannführer herein, der das erlaubt hat, dass man eine Weihnachtsfeier macht. Aber in dieser Form, das hat er ja nicht gewusst. Da kommt er herein, in der Uniform, glitzernd, und die Kinder sind sofort unter die Bank und haben sich versteckt. Und er kommt nach vor zu der Bühne und sagt: „Ihr braucht keine Angst zu haben, Kinder“ und hat ein paar Zuckerl gehabt und hat die auch noch ausgeteilt. Und da hat er gesagt: „Es ist jetzt Krieg, und es geht uns allen nicht ganz gut, das muss man verstehen. Aber wenn der Krieg dann aus ist, dann wird es uns allen gut gehen, und euch Kindern auch, ihr werdet sehen, wie gut das alles sein wird.
Und jetzt wünsche ich euch eine gute Unterhaltung.“ Und huldvoll ist er dann gegangen und hat gesagt: „Das kann weitergehen.“ Aber es war dann aus. Die Kinder sind dem ganzen Stück nicht mehr gefolgt, weil sie haben einen Schock gehabt jetzt. Wir sind rundherum gestanden an der Mauer, ich habe bei Gott nie geheult, aber da habe ich müssen heulen, da habe ich wirklich heulen müssen, wie ich das alles gesehen habe, die armen Kinder. Also, das war schrecklich. Na, und dann sind sie langsam wieder zu ihren Blocks zurückgeführt worden, und wie er versprochen hat, dass es wieder besser geht, am nächsten Tag am Vormittag, kommt die Grassinger, die Polizei, die auch mit uns gearbeitet hat, kennst du die?
Na, das war eine ganz feine Kameradin.
Ja, kommt die Grassinger zu mir ins Büro und sagt: „Berner Mizzi, vorne bei der Türe stehen alle Kinder aufgereiht.“ Sag ich: „Wieso denn? Was ist denn?“ Das Tor geht auf, und die Kinder marschieren hinaus, und du siehst nie mehr was von den Kindern. Das hat einer versprochen, es wird ihnen gut gehen. Ins Gas sind sie gegangen, alle Kinder. Das war die Weihnachtsfeier.
Dann sind sie abmarschiert, die Großgoscherten. Da waren sie groß und groß und groß. Und da hast nicht auf der Straße gehen können, [ohne] dass dich eine Aufseherin mit der Peitsche [geschlagen hätte], weil die waren ärger noch als die Männer, die Aufseherinnen. Da haben sie junge Mädchen eingestellt, das waren seinerzeit Hausgehilfinnen oder kleine Schneiderinnen. Und denen haben sie versprochen, sie kriegen eine schöne Uniform und sie kriegen ein gutes Gehalt und ein gutes Essen, und sie können machen mit den [Leuten], das sind lauter Untermenschen, mit denen können sie machen, was sie wollen.
Und sie haben das tatsächlich durchgeführt. Weil sie selber haben ja auch müssen Appell stehen sozusagen. Sie haben eine schöne Uniform gehabt, ein schönes schickes Kapperl und Stiefel und so weiter. Und wenn sie auf der Lagerstraße eine erwischt haben, die da gegangen ist, gleich haben sie die Peitsche gezückt, weil wir sind ja alle lauter Untermenschen gewesen. Und plötzlich sind sie dann verschwunden. Mit allem Hab und Gut, das sie überall gestohlen haben, wie sie in [??] waren, hochbepackt die Autos.
Und an der Grenze haben wir dann einen Wagen gekriegt von den Tschechen. Da haben sie uns eigentlich eingeladen damals, da haben wir endlich einmal ein Bett gehabt. Und da haben wir uns können baden und waschen, und alles Mögliche. Na, und dann haben wir den Zug gekriegt, und dann sind wir gefahren. Eine ganze Woche waren wir unterwegs, wir zwei. Und alles Mögliche hat man erlebt, nicht, mit einem Wort. Dann sind wir halt doch an die Grenze gekommen und sind nach Österreich gekommen. Da war keine Straßenbahn, es war alles zerstört, haben wir gesehen. Also das war auch kein schöner Anblick. Ich war auch ganz ausgebombt bei mir daheim.
Als Pflegemutter. Die Anna hat in der Partei gearbeitet, sie hat dann die Küche geleitet und alles Mögliche. Und ich habe dann das Kind gehabt zu Hause. Ich habe gleichzeitig um die Adoption eingereicht, und man hat mich abgewiesen, und zwar mit der Begründung, man kann mir kein Kind anvertrauen, nachdem ich eine Zuchthäuslerin bin.
So. Also sind unsere ganzen KZ-ler, auch die Männer, sind aufmarschiert vor dem Haus und haben einen Krawall gemacht, noch und noch. Und wir haben einen Anwalt gehabt, das war ein Sozialist, der hat gesagt: „Statt dass man den Frauen hilft, die gekämpft haben für Österreich, dass man der weiterhilft!“, also mit einem Wort, der hat das ins Rollen gebracht. Ja, dann ist das ganz schnell gegangen. Ich habe das dann selber in die Hand genommen, na, und dann haben wir die Ilse gekriegt als Adoptivkind.
Und so haben wir halt gelebt. Ich war daheim, ich war die Hausfrau, die Annerl hat die Kreuzerln verdient, ich habe eine ganz eine kleine Pension gehabt, na und die Annerl hat gearbeitet und ist nach Hause gekommen. Es war eine Familie. Mutter-Kind-Vater. Die Annerl war der Vater, sozusagen.
Es plagen einen halt die ganzen Krankheiten, es ist ja nicht so leicht. Jetzt musst du dir denken, ich sehe fast nichts mehr. Ich habe früher Tag und Nacht gelesen, bei der Kerze und in der Straßenbahn, auf der Straße bei der Lampe. Ich habe immer gelesen, gelesen, gelesen. Und jetzt kann ich ja nichts lesen. Ich kann nichts sehen. Ich kann schlecht hören. Ich habe dauernd Kopfschmerzen.
Und meine Füße, siehst eh, ich kann ohne Krücken nicht gehen. Also was ist das jetzt für ein Leben? Ich kann schon lange nicht mehr hinkommen zu euch nach Ravensbrück, ja, in die Gruppe, gehe ich schon jahrelang nicht mehr hin. Weil ich kann einfach nicht mehr gehen. So ist das. So, ich glaube, ich habe euch jetzt genug erzählt.
Wir haben so manches schon erlebt. In den Straßenbahnen, und das.
Ja, weil da haben‘s die Leute nicht gekannt. Und anstellen. Wir haben dann einen Ausweis gehabt, dass wir bevorzugt werden, überall, wo man hinkommt, in Ämtern, und so weiter.
Die Amtsbescheinigung
Aber das hat nur am Anfang genützt. Später war das nicht mehr. Jetzt darfst‘ gar nicht sagen, dass du ein KZ-ler bist, das darfst du gar nicht mehr sagen.