Funktionshäftlinge


Inhalt

Funktionshäftlinge – verlängerter Arm der SS?
Handlungsspielräume der Funktionshäftlinge
Terror durch Funktionshäftlinge im Männerlager

Funktionshäftlinge – verlängerter Arm der SS?
Funktionshäftlinge waren Häftlinge, die von der Oberaufseherin oder dem Schutzhaftlagerführer für Leitungs- und Überwachungsaufgaben eingesetzt wurden. Die SS wollte ihren Arbeitsaufwand so gering wie möglich halten. Sie bezweckte mit der Einführung einer Rangordnung unter den Häftlingen zudem die Solidarität unter den Häftlingen zu brechen. Die Förderung des Spitzelwesens war ein weiteres Instrument, das Misstrauen unter den Häftlingen zu schüren und Widerstand im Lager zu unterbinden. Funktionshäftling zu sein konnte die Überlebenschancen erhöhen und bedeutete, einen größeren Handlungsspielraum zu haben als „einfache“ Häftlinge. Viele Funktionen waren mit besserem/mehr Essen verbunden, manche hatten auch eine eigene Schlafkammer. Es lag in ihrem Ermessen und an den Möglichkeiten durch ihre Funktion, ob und in welchem Ausmaß sie Mithäftlinge unterstützten, straften oder bei Übertretungen gar der SS meldeten. Gleichzeitig liefen jene Funktionshäftlinge, die nicht als verlängerter Arm der SS arbeiteten und die anderen Häftlinge bestmöglich unterstützten oder widerständige Handlungen zuließen, Gefahr, denunziert zu werden. Dies konnte die Absetzung und Bestrafung zufolge haben. Rosa Jochmann beispielsweise wurde zweimal in den Bunker gesperrt und schließlich als Blockälteste abgesetzt.
Die SS wählte die Funktionshäftlinge vor allem nach Nationalität und Häftlingskategorie aus. Daher blieben diese Positionen den als „rassisch minderwertig“ eingestuften Frauen meist verschlossen. Für die Ernennung der Funktionshäftlinge im Frauenlager war die Oberaufseherin Johanna Langefeld zuständig. Obwohl sie überzeugte Nationalsozialistin war, sympathisierte sie mit einigen deutschen und österreichischen politischen Gefangenen und Bibelforscherinnen.[1]

Rosa Jochmann Portrait aus 1938 (Quelle: DÖW)
Unter diesen befand sich auch die Wiener Sozialdemokratin Rosa Jochmann:
„Eine haben wir gehabt, die ist zur Oberaufseherin vorgegangen und hat verraten, dass ich Briketts stehlen geh. Das hat gestimmt. […] Die Oberaufseherin hat zu der, die mich angegeben hat, gesagt: Schauen sie, dass sie hier rauskommen, das macht die Jochmann niemals. Am Block habe ich dann alle zusammengerufen, hab sie neben mich hingestellt: Jetzt zeig ich euch eine Verräterin. […] Sie war zwar als Politische geführt worden, war aber ein sehr primitiver Mensch. […] Sie hat geglaubt, wenn sie der Oberaufseherin und dem Lagerkommandanten verschiedenes erzählt, kommt sie früher raus.“[2]

Handlungsspielräume der Funktionshäftlinge

Armbinde eines Arbeitskommandos (Quelle: Ausstellungsraum der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück; Foto: Helga Amesberger)

An der Spitze der Häftlingshierarchie stand die Lagerälteste. Ihre Aufgabe war es, die Befehle des Schutzhaftlagerführers umzusetzen, für die Einhaltung der Vorschriften und einen reibungslosen Ablauf des Lageralltags zu sorgen. Sie durfte Häftlinge für verschiedene Funktionen vorschlagen. Zweimal wurde diese Position an Österreicherinnen vergeben. Die Oberösterreicherin Marianne S. wurde wegen Verstoß gegen den Abtreibungsparagraphen als „Berufsverbrecherin“ deportiert. Sie war zunächst Blockälteste und wurde im Frühjahr 1943 Lagerälteste. Im Prozess 1947 gab S. an, dass sie in ihrer Funktion als Blockälteste Diebstähle ahnden musste. Sie gestand, dies mittels Ohrfeigen gemacht zu haben, habe dafür aber keine Meldung bei der SS erstattet. [3] Rosa Jochmann und zahlreiche andere Häftlinge setzten sich für eine Einstellung des Verfahrens gegen Marianne S. ein. Die ehemaligen Häftlinge gaben an, Marianne S. hätte sie beschützt, indem sie Meldungen an die SS zerriss, Essen gerecht verteilte und sich auch am politischen Widerstand beteiligte. [4]

Die Blockältesten standen an zweiter Stelle in der Lagerhierarchie. Ihre zentrale Aufgabe war, im Block und beim Zählapell für Ordnung zu sorgen. Rosa Jochmann nutzte ihren Einfluss als Blockälteste, um sich für die österreichischen politischen Häftlinge einzusetzen. [5] Den Blockältesten waren die Stubenältesten untergeordnet. Sie mussten den Block sauber halten und für Disziplin in ihrer Stube sorgen. Nicht immer handelten die Funktionshäftlinge zum Wohle der Mithäftlinge:
„Unsere Stubenälteste war eine Wienerin. Die war ganz unsympathisch. Wo sie mich erwischt hat, hat sie mich gehauen. Ich habe an meinem Kopf so viele Wunden, dass ich es Ihnen gar nicht erklären kann. Wenn ich eine Glatze hätte, dann könnte man es sehen. Was sie halt erwischt hat. Dass mir das Blut nur runter gesaust ist. Eine Wienerin war sie. Sie hat aber nach dem KZ nichts gekriegt, weil die Leute haben sie ja angezeigt.“[6]
Die SS-Aufseherinnen betraten die Baracken für gewöhnlich nicht. Durch die Funktionshäftlinge konnte der Terror auch in die Baracken getragen werden. Bei der Zwangsarbeit waren die Häftlinge nicht nur den BewacherInnen unterstellt, sondern auch den jeweiligen Kapos im Arbeitskommando. Kapos waren quasi VorarbeiterInnen, die die Durchführung der Zwangsarbeit der anderen Häftlinge kontrollierten. Dadurch entstand ein System permanenter Überwachung, auch wenn die SS nicht gegenwärtig war.

Terror durch Funktionshäftlinge im Männerlager
Der Einfluss der Funktionshäftlinge war im Männerlager Ravensbrück größer als im Frauenlager. [7] Zuständig für deren Auswahl war der Schutzhaftlagerführer Rudolf Beer: „Für mich war nur menschliche Veranlagung und fachliche Eignung für die Bestellung zum Kapo maß-gebend. […] Menschliche Eignung war, wenn sie gegen die Mithäftlinge waren.“ [8] In den Erinnerungen der Männer wurden Misshandlungen mit Todesfolge durch Funktionshäftlinge oft erwähnt, während derartiges aus dem Frauenlager kaum überliefert wurde. [9] Wie oft aber Denunziation durch weibliche Funktionshäftlinge zum Tod führte, kann nicht mehr rekonstruiert werden.


[1] Bernhard Strebel, Das KZ-Ravensbrück. Geschichte eines Lagerkomplexes (Paderborn 2003) S. 237.
[2] Rosa Jochmann, Mit offenen Augen. In: Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth Trallori (Hg.): Ich geb Dir einen Mantel, daß du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstand im KZ. Österreichische Frauen erzählen (Wien 1987) S. 177-187, hier S. 180.
[3] Sylvia Köchl, Christa Putz, Kriminell – ein Leben lang. Bestrafung und Verfolgung zweier Welserinnen vor, während und nach dem Nationalsozialismus. In: Stadt Wels (Hg.), Nationalsozialismus in Wels, Band 2 (Wels 2012) S. 203-221.
[4] Christa Putz, Marianne S. (unveröffentlichte Biographie, Wien 2011) S. 10. Die Wienerin Elisabeth Thury, ab 1940 politischer Häftling im KZ Ravensbrück, war in den letzten Monaten dessen Bestehens Lagerälteste. Auch ihre Aktivitäten als Funktionshäftling wurden von Mithäftlingen widersprüchlich beurteilt. Sie soll jedoch stets versucht haben, sozialistische bzw. kommunistische Häftlinge in wichtige Positionen der so genannten Häftlingsselbstverwaltung zu bringen.
[5] Strebel, Das KZ-Ravensbrück, S. 238.
[6] Rosa Winter, Interview von Helga Amesberger (Linz 10.11.1998).
[7] Für einen Vergleich zwischen den Funktionshäftlingen im Männerlager und im Stammlager vgl. Bernhard Strebel, Unterschiede in der Grauzone? Über die Lagerältesten im Frauen- und Männerlager des KZ Ravensbrück. In: Herbert Diercks, KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.), Abgeleitete Macht. Funktionshäftlinge zwischen Widerstand und Kollaboration (Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 4/1998) S. 57-68, hier S. 58.
[8] Rudolf Beer (1950), zit. in: Strebel, Unterschiede in der Grauzone? S. 58.
[9] Strebel, Unterschiede in der Grauzone? S. 63.

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