Sigmund Fettner

Sigmund (Isak Schaje) FETTNER
Geboren am 9. März 1889
Ermordet am 7. Oktober 1942
Verfolgungrund: Jude
Biografische Daten



Familie Fettner (Rosa Fettner mit Sohn Ernst, Tochter Waly, dahinter Sigmund Fettner, unbekannt) um 1923; Fotograf/in unbekannt / Bildausschnitt




Postkarte von Isak Fettner an seinen Sohn Ernst, 1. Juli 1939, (Vorder- und Rückseite), Privatarchiv Ernst Fettner




Vermessungsblatt (Vorder- und Rückseite), Nr. 260 von Isak Schaje Fettner, Naturhistorisches Museum Inv.nr. 18137. Ernst Fettner meint, dass sein Vater erst kurz nach Ende des 1. Weltkriegs nach Wien zugewandert sei (Interview, 12.01.2011)

Der am 9. März 1889 im galizischen Horodenka (heute Ukraine) geborene Sigmund (Isak Schaje) Fettner diente während des 1. Weltkriegs in der österreichisch-ungarischen Armee als Unteroffizier und war nicht religiös. Die Wiener Bevölkerung der vorangegangenen Jahrhundertwende war ein Völkergemisch aus den Kronländern der Habsburger Monarchie. Sigmund Fettner kam 1909 mit seinen Eltern als 20-Jähriger nach Wien. Wie sehr er sich als Wiener betrachtete bzw. als solcher wahrgenommen werden wollte, verdeutlichen sein für sich gewählter Vorname Sigmund sowie die Vornamen seiner späteren Kinder. Nach dem 1. Weltkrieg verdiente Sigmund Fettner seinen Lebensunterhalt als Vertreter von Konditoreiwaren. Seine erste Frau Rosa (geb. Nener), mit der er zwei Kinder hatte – Waly (Valerie) und Ernst –, starb 1926 an einer Grippe. Sigmunds zweite Ehe mit Rosa Katz, aus der drei weitere Kinder (Lilly, Karoline und Herbert) hervorgingen, war bereits geprägt von den Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise. Sigmund Fettner erhielt Anstellungen nur mehr für wenige Tage bis Wochen, das Pferdefuhrwerk musste verkauft werden. Die häufige Arbeitslosigkeit überbrückte er damit, dass er seinem Schwager beim Bügeln der geschneiderten Hosen zur Hand ging. Dazu kamen – wie für viele andere Wiener Familien auch – äußerst beengte Wohnverhältnisse. Bis zu ihrer Zwangsumsiedlung in die Leopoldstadt (2. Bezirk) lebte die Familie, bestehend aus neun Personen, in einer Zimmer-Küche-Wohnung im 20. Wiener Gemeindebezirk.

Verzweifelte Bemühungen um Auswanderung
Im Juli 1938 und schließlich nach der Reichspogromnacht am 9./10. November 1938 wurden staatenlose, aus Polen kommende Juden verhaftet; dazu zählte auch Sigmund Fettner. 1939 hatten bereits viele europäische Länder für die Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich ihre Grenzen geschlossen. Um einreisen zu können, brauchten sie entweder eine so genannte „Anforderung“, also die Zusage für einen Arbeitsplatz, oder die Einladung einer Familie. Dass beide sehr schwierig zu bekommen waren, zeigt der Briefverkehr von Sigmund Fettner mit seinem Sohn, dem die Ausreise nach England gelungen war. Am 1. Juli 1939 schrieb Sigmund Fettner an seinen Sohn im schottischen Argyll:
„Lieber Ernst! Leider musst du diesmal mit einer Karte vorlieb nehmen, da ich keinen Kopf zum Schreiben habe. Wir haben die üblichen Sorgen, diesmal noch Besondere. – Ich erhielt vorige Woche eine Vorladung zur P[olizei] und wurde bis zum 10ten Juli ausgewiesen. Sowohl ich wie auch die l. Mama u. die Kinder. – Wohin ich in dieser kurzen Zeit ausreisen soll, weiss ich wirklich nicht. Es droht mir das gleiche wie Dir [gemeint ist die Verhaftung]. Wenn Du einen Rat weisst, oder wenn mir Dein Schef ein Telegram aufgibt dass um ein Permit angesucht wurde, so könnte [ich] vielleicht noch eine Verlängerung bekomen. Jedenfalls schreibe mir sofort. – Du kannst Dir denken wie es bei uns jetzt ausschaut. Ich bin froh, dass Du wenigstens schon weg bist, es wurde auch schon nach Dir gefragt.“
In den Briefen und Postkarten kommt immer wieder zum Ausdruck, wie froh Sigmund Fettner über die geglückte Ausreise seiner beiden ältesten Kinder, Ernst und Waly, ist. Aus ihnen spricht aber auch die Sorge um die jüngeren Kinder, die Ehefrau und die Schwiegereltern sowie die enorme psychische Belastung.
Die Bemühungen fruchteten nicht, nur das drittälteste Kind Lily konnte noch rechtzeitig ausreisen. Sigmund Fettner selbst war am 9. September 1939 verhaftet worden; seine Frau und die jüngsten zwei Kinder, Karoline und Herbert, mussten in eine Sammelwohnung im 2. Wiener Gemeindebezirk (Große Mohrengasse 35) übersiedeln, von wo sie am 17. August 1942 nach Minsk bzw. Maly Trostinec deportiert und dort unmittelbar nach der Ankunft erschossen wurden. Die beiden Kinder waren damals elf und zehn Jahre alt. Den beiden Brüdern von Frau Fettner gelang zunächst die Flucht nach Paris; danach verlor sich jede Spur. Sigmund Fettners Vater starb am 25. Oktober 1939 im KZ Buchenwald.

Vermessen, deportiert und ermordet
Sigmund Fettner und sein Vater Abraham Moses Fettner waren unter den rund 1.000 vom 9.-11. September 1939 durch die Gestapo verhafteten staatenlosen Juden im Alter von 16 bis 83 Jahren. Sie wurden zunächst in verschiedene Wiener Gefängnisse und anschließend in das Wiener Stadion (heute Praterstadion) gebracht. Die Lebensbedingungen dort waren verheerend – es gab keine Betten, sondern nur Stroh; manche mussten die ganze Zeit im Freien schlafen. Zwischen 25. und 30. September wurden 440 Juden von einer achtköpfigen Kommission unter der Leitung von Dr. Josef Wastl einer „anthropologischen Vermessung“ unterzogen. Diese Kommission vermaß und fotografierte auch Sigmund Fettner. Am 30. September wurden die Männer in Polizeiautos zum Wiener Westbahnhof gebracht und ins KZ Buchenwald deportiert, wo man sie am 2. Oktober registrierte. Sigmund Fettner wurde zunächst im „kleinen Polenlager“ und dann im Hauptlager am Block 17 untergebracht.

Das KZ Ravensbrück
Als Sigmund Fettner am 13./14. März 1942 gemeinsam mit 20 anderen „Vermessenen“ in das Männerlager des KZ Ravensbrück überstellt wurde, lebte bereits der Großteil der Leidensgenossen der „Vermessungsaktion“ nicht mehr. Von den 440 Männern überlebten nur 26. Sie starben aufgrund der katastrophalen Bedingungen in Buchenwald oder durch Ermordung in den Tötungsanstalten Bernburg/Saale sowie Sonnenstein bei Pirna. Sigmund Fettner war in Ravensbrück der Häftling Nr. 1197. Bis Herbst 1942 wurde jüdischen Häftlingen in Ravensbrück jegliche ärztliche Versorgung verwehrt. Die wenigen Zeitzeugenberichte sprechen von unermesslichen Torturen und grausamen Strafen. Die Todesrate im Männerlager betrug zu diesem Zeitpunkt 50 Prozent. Nach vier Monaten wurde Sigmund Fettner, vermutlich bereits sehr geschwächt, am 20. Juli 1942 in das KZ Dachau überstellt. Der 53-Jährige wurde schließlich am 7. Oktober 1942 in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz (Österreich) deportiert, wo er vergast wurde.

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