Einleitung
Das 1942 in der Nähe des Stammlagers Ravensbrück errichtete Jungendkonzentrationslager Uckermark war das einzige KZ für Mädchen und junge Frauen im Dritten Reich.
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Hier wurden 16 bis 21-Jährige eingewiesen, die entweder aus so genannten sozial schwachen Familien stammten (z.B. Vater Alkoholiker, Mutter gestorben) oder denen ein andere Jugendliche gefährdendes Verhalten unterstellt wurde. „Sexuelle Verwahrlosung“ war einer der häufigsten Einweisungsgründe in die Uckermark. Für Burschen gab es übrigens einen solchen Einweisungsgrund nicht.
Block 1 in der Uckermark war der sogenannte Sonderblock. Hier waren politische Häftlinge mit slowenischer Muttersprache inhaftiert. Darunter befanden sich auch viele Kärntner Sloweninnen. In diesem Block waren die Haftbedingungen etwas besser.
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Die Rolle der Fürsorge Der Großteil der ersten 500 Häftlinge waren Fürsorgezöglinge. Die Einweisung in die Uckermark erfolgte auf Antrag von Erziehungsanstalten, die sich auffälliger und missliebiger Jugendlicher entledigen wollten. Bis Mitte 1944 kamen die mit Abstand meisten Einweisungsanträge aus Wien. [2] Eine von ihnen war die damals achtzehnjährige Käthe Anders. Ihre Anstellung bei einer Jüdin endete mit einem Gestapo-Verhör:
Aufnahmeprozedur und Lageralltag Die Häftlinge des Jugend-KZs kamen im Stammlager Ravensbrück an und mussten dort die Aufnahmeprozedur über sich ergehen lassen:
Der Vernichtungsort Uckermark
Formen des Gedenkens am Gelände des ehemaligen Mädchen KZ und späteren Vernichtungslager Uckermark
(Quelle: Helga Amesberger)
Im Dezember 1944/Jänner 1945 wurden große Teile des Jugend-KZs geräumt. Das bedeutete für die Jugendlichen eine Überstellung ins Frauenlager, eine Arbeitsstelle in der Rüstungsindustrie oder für manche die Entlassung.
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Käthe konnte dadurch nach Wien zurückkehren. Grund für die Räumung war die Umwandlung des Jugendkonzentrationslagers in ein Sterbe- und Vernichtungslager für kranke und alte Inhaftierte des Hauptlagers Ravensbrück:
Behandlung der inhaftierten Fürsorgezöglinge nach 1945 Die gesellschaftliche Ausgrenzung und behördliche Stigmatisierung der als „asoziale Jugendliche“ eingelieferten Frauen setzte sich nach 1945 fort. Exemplarisch dafür steht ein Schreiben des Bezirksjugendamts des 3. Wiener Gemeindebezirkes aus 1955. Die Behörde kommentierte die Einweisung der Anna D., die von Juli 1942 bis April 1945 in der Uckermark inhaftiert war, folgendermaßen:
Statistisches Nach Auskunft der ehemaligen Lagerleiterin waren insgesamt 1.180 Mädchen und junge Frauen im Jugend-KZ Uckermark inhaftiert. [10] Mindestens 6.000 Häftlinge wurden in die Todeszone Uckermark überstellt. Davon kamen ca.5.000 aufgrund der katastrophalen Lebensbedingungen und Ermordungen um. Bei 103 Österreicherinnen scheint Uckermark als Teil des Haftweges auf. Dem Großteil dieser österreichischen Häftlinge wurde „Asozialität“ zur Last gelegt. 86 Prozent der erfassten Österreicherinnen waren im Jugend-KZ inhaftiert, von weiteren sieben wissen wir, dass sie im Vernichtungslager waren. [11] [1] Dieser Absatz folgt Bernhard Strebel, Das KZ Ravensbrück. Geschichte eines Lagerkomplexes (Paderborn 2003) Kapitel VIII. „Jugendschutzlager“ Uckermark,
S. 356-383. [2] Michael Hepp, Vorhof zur Hölle. Mädchen im „Jugendschutzlager“ Uckermark. In: Angelika Ebbinghaus (Hg.), Opfer und Täterinnen. Frauen des Nationalsozialismus (Schriften der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts 2, Nördlingen 1987) S. 239-270, hier S. 247. [3] Käthe Anders, Nie gelebt. In: Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth N. Trallori (Hg.), Ich geb dir einen Mantel, daß Du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstehen im KZ. Österreichische Frauen erzählen (Wien 1987) S. 97-107, hier S. 99. [4] Anders, Nie gelebt, S. 98. [5] Anders, Nie gelebt, S. 101. [6] Strebel, Das KZ Ravensbrück, S. 383. [7] Oberaufseherin Ruth Neudeck, 1945 Leiterin des Sterbelagers Uckermark, wurde im 3. Ravensbrückprozess zum Tode verurteilt und hingerichtet, vgl. Simone Erpel, Die britischen Ravensbrück-Prozesse 1946-1948. In: Simone Erpel (Hg.): Im Gefolge der SS: Aufseherinnen des Frauen-KZ Ravensbrück (Berlin 1977) S. 114-128,
hier S. 120f. [8] Irma Trksak, IKF-Interview von Brigitte Halbmayr (1998). [9] Friedrich Stepanek, Johanna D. Datenblatt zur Erhebung der Ravensbrückerinnen im Tiroler Landesarchiv (unveröffentlichtes Datenblatt, Innsbruck 2012). [10] Strebel, Das KZ Ravensbrück, S. 365. [11] Vgl. Helga Amesberger, Brigitte Halbmayr, ÖsterreicherInnen im KZ Ravensbrück. Quantitative Auswertung der Datenbank (unveröffentlichter Forschungsbericht,
Wien 2012) S. 55f.
Die Rolle der Fürsorge Der Großteil der ersten 500 Häftlinge waren Fürsorgezöglinge. Die Einweisung in die Uckermark erfolgte auf Antrag von Erziehungsanstalten, die sich auffälliger und missliebiger Jugendlicher entledigen wollten. Bis Mitte 1944 kamen die mit Abstand meisten Einweisungsanträge aus Wien. [2] Eine von ihnen war die damals achtzehnjährige Käthe Anders. Ihre Anstellung bei einer Jüdin endete mit einem Gestapo-Verhör:
„Wieso ich als deutsches Mädchen bei einer Jüdin arbeit? Aggressiv war ich, jung war ich. Ich bin kein deutsches Mädchen, ich bin Wienerin, und arbeit, wo es mir gefällt.“ [3]Wenige Wochen nach dem Verhör schrieb Käthe „Heil Moskau“ auf Zettel, darauf hin wurde sie verhaftet. Nach einer neunmonatigen Einzelhaft kam sie ins Erziehungsheim Hirtenberg. Dort bezeichnete sie den Heimleiter als „Nazischwein“, was zu ihrer Einweisung in die Uckermark führte.
Aufnahmeprozedur und Lageralltag Die Häftlinge des Jugend-KZs kamen im Stammlager Ravensbrück an und mussten dort die Aufnahmeprozedur über sich ergehen lassen:
„Zu mir haben sie gesagt, niedersetzen! Ich hab net gewusst, was passiert. Habens mir die Haare geschert. […] Dann hinein ins Bad, unter die Dusche. Gefürchtet habe ich mich. Ich hab gedacht, wenn ich keine Haare mehr habe, tut mir das weh auf der Glatze. […] Ich habe schwarze Augenbrauen gehabt, und die Nase ein bisserl größer, vielleicht bin ich ein jüdischer Typ. Zwickt mich der in die Brustwarze, in die linke, zwickt mich und zieht mich so her bei der Brust. Aha, eine Jüdin! Ich war so weg, dass ich nicht einmal sagen hab können, ich bin keine Jüdin.“ [4]Käthe hatte die Nummer 77 in der Uckermark. Der Lageralltag unterschied sich nicht von jenen in Konzentrationslagern für Erwachsene. Er war geprägt von Schikanen, Misshandlungen, Strafen, Hunger und „Erziehung“ durch Zwangsarbeit:
„Im Juli oder August haben wir angefangen, das Sumpfgebiet trocken zu legen. Schwerstarbeit war das. Über den Sumpf ist das Gras gewachsen, bist eingesunken einen halben Meter. Mit dem Spaten mussten wir so Vierecke ausstechen, abheben und auf einen Haufen schichten. […] Bis November sind wir im Sumpf gestanden, bis der Boden gefroren war. […] Rheuma, Arthrosen haben wir alle davon, das ist uns geblieben.“ [5]
Der Vernichtungsort Uckermark
Formen des Gedenkens am Gelände des ehemaligen Mädchen KZ und späteren Vernichtungslager Uckermark
(Quelle: Helga Amesberger)
„Und da hat dann, Anfang Jänner glaube ich, war das, hat die Oberaufseherin Neudeck [7] , die hat die Blockältesten nach vorne gerufen und hat gesagt, also es wird in der Uckermark ein neues Lager eingerichtet für Alte, Kranke, Gebrechliche und Versehrte. Die werden es dort leichter haben. Sie werden nicht arbeiten und sie werden dort untergebracht und so. Also in rosigen Farben hat sie das geschildert, um auch die Blockältesten schon einzustimmen, diese Frauen dazu zu bewegen, dass sie sich entweder freiwillig melden, oder sich nicht sträuben hinzugehen. So hat sie schon das Terrain vorbereitet, glaube ich. […] Und so, aber in der Uckermark haben wir nur einmal am Tag Essen bekommen, so am späten Nachmittag, und das Essen war schon kalt und oft auch schon verdorben wahrscheinlich. Es waren so Kessel und die Rationen vom Brot, das war ein Drittel, und dann wussten die Frauen, was sie eigentlich mit ihnen vorhatten. Dass sie sie auf alle mögliche Art töten werden. Sie sollten verhungern. Sie sollten erfrieren, weil man ihnen mitten im Winter die Strümpfe, die Jacken weggenommen hat. Sie sollten krank werden, damit sie ‚auf natürliche Weise‘, das sage ich immer wieder, sterben. ‘Auf natürliche Weise‘, hat es immer geheißen, aber die natürliche Weise haben die hervorgerufen, das war ihre natürliche Weise. Die Frauen mussten raus aus den Baracken, auch die Kranken, auch die Sterbenden. Zwei Frauen mussten die Sterbende, solange wie sie noch gelebt hat, halten, damit man sie zählen kann. Man hat ununterbrochen gezählt, ob’s im Stammlager war, zweimal am Tag, bei der Arbeitsformierung gezählt, in der Uckermark gezählt, den ganzen Vormittag sind sie gestanden, und wenn eine zusammengebrochen ist, durfte man sie nicht hineintragen. Man musste sie auf den gefrorenen Boden hinlegen, damit ja die Zahl stimmt, damit ja niemand fehlt, damit alles stimmt, diese deutsche Genauigkeit.“ [8]Durch die von Irma Trksak geschilderten Bedingungen starben von Anfang Jänner bis April 1945 5.000 Häftlinge, weitere 1.000 wurden durch Giftgas und Herzinjektionen ermordet.
Behandlung der inhaftierten Fürsorgezöglinge nach 1945 Die gesellschaftliche Ausgrenzung und behördliche Stigmatisierung der als „asoziale Jugendliche“ eingelieferten Frauen setzte sich nach 1945 fort. Exemplarisch dafür steht ein Schreiben des Bezirksjugendamts des 3. Wiener Gemeindebezirkes aus 1955. Die Behörde kommentierte die Einweisung der Anna D., die von Juli 1942 bis April 1945 in der Uckermark inhaftiert war, folgendermaßen:
„[…] war ab 1938 als Fürsorgefall bekannt. […] von 1938 bis 1941 in Gemeindepflege […] wegen asozialen Lebenswandels wieder in eine Erziehungsanstalt usw. am 29.9.1942 kam sie dann in das Jugendschutzlager Uckermark. […] Auch waren für die Einweisung in nach Uckermark rein fürsorgerische Erwägungen maßgebend.“ [9]Anna D. wurde ins KZ eingewiesen, da ihr Arbeitgeber, bei dem sie zwangsverpflichtet war, ihr vorwarf, zu langsam zu arbeiten. Die damals Sechzehnjährige setze sich daraufhin verbal zur Wehr. Erst ab 1995 wurde Anna D. als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt.
Statistisches Nach Auskunft der ehemaligen Lagerleiterin waren insgesamt 1.180 Mädchen und junge Frauen im Jugend-KZ Uckermark inhaftiert. [10] Mindestens 6.000 Häftlinge wurden in die Todeszone Uckermark überstellt. Davon kamen ca.5.000 aufgrund der katastrophalen Lebensbedingungen und Ermordungen um. Bei 103 Österreicherinnen scheint Uckermark als Teil des Haftweges auf. Dem Großteil dieser österreichischen Häftlinge wurde „Asozialität“ zur Last gelegt. 86 Prozent der erfassten Österreicherinnen waren im Jugend-KZ inhaftiert, von weiteren sieben wissen wir, dass sie im Vernichtungslager waren. [11] [1] Dieser Absatz folgt Bernhard Strebel, Das KZ Ravensbrück. Geschichte eines Lagerkomplexes (Paderborn 2003) Kapitel VIII. „Jugendschutzlager“ Uckermark,
S. 356-383. [2] Michael Hepp, Vorhof zur Hölle. Mädchen im „Jugendschutzlager“ Uckermark. In: Angelika Ebbinghaus (Hg.), Opfer und Täterinnen. Frauen des Nationalsozialismus (Schriften der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts 2, Nördlingen 1987) S. 239-270, hier S. 247. [3] Käthe Anders, Nie gelebt. In: Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth N. Trallori (Hg.), Ich geb dir einen Mantel, daß Du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstehen im KZ. Österreichische Frauen erzählen (Wien 1987) S. 97-107, hier S. 99. [4] Anders, Nie gelebt, S. 98. [5] Anders, Nie gelebt, S. 101. [6] Strebel, Das KZ Ravensbrück, S. 383. [7] Oberaufseherin Ruth Neudeck, 1945 Leiterin des Sterbelagers Uckermark, wurde im 3. Ravensbrückprozess zum Tode verurteilt und hingerichtet, vgl. Simone Erpel, Die britischen Ravensbrück-Prozesse 1946-1948. In: Simone Erpel (Hg.): Im Gefolge der SS: Aufseherinnen des Frauen-KZ Ravensbrück (Berlin 1977) S. 114-128,
hier S. 120f. [8] Irma Trksak, IKF-Interview von Brigitte Halbmayr (1998). [9] Friedrich Stepanek, Johanna D. Datenblatt zur Erhebung der Ravensbrückerinnen im Tiroler Landesarchiv (unveröffentlichtes Datenblatt, Innsbruck 2012). [10] Strebel, Das KZ Ravensbrück, S. 365. [11] Vgl. Helga Amesberger, Brigitte Halbmayr, ÖsterreicherInnen im KZ Ravensbrück. Quantitative Auswertung der Datenbank (unveröffentlichter Forschungsbericht,
Wien 2012) S. 55f.