Hygiene


Inhalt

Hygiene
Die Möglichkeiten zur Körperhygiene waren ungleich verteilt
„Hygienemaßnahmen“ als Schikane und sexualisierte Gewalt
„Eine Laus dein Tod“
Menstruation

Hygiene

Darstellung der Aufnahmeprozedur in Ravensbrück, gezeichnet von der Überlebenden Violette Lecoq.
(Quelle: http://www.ravensbruck.nl)


Sich zu waschen, ist ein menschliches Grundbedürfnis. Im KZ-Alltag konnten die Häftlinge dieses Bedürfnis nur selten befriedigen. Zum einen waren die hygienischen Vorrichtungen, wie Waschgelegenheiten und Toiletten, nicht für so viele Häftlinge ausgerichtet. Zum anderen musste alles sehr rasch erfolgen; den Häftlingen blieb insbesondere morgens kaum Zeit. Es gab nur kaltes Wasser, Seife war ein rares Gut und die Kleider wurden nur selten gewaschen. Durch diese Situation waren die Häftlinge zwangsläufig schmutzig. Trotz dieser Missstände forderte die SS Sauberkeit und Ordnung ein. Waren die Frauen schmutzig oder die Betten nicht ordentlich gemacht, gab es Strafen.
Antonia Bruha beschrieb im Interview die Situation in Ravensbrück:
„In der Früh hast du eine halbe Stunde Zeit gehabt, auf jeder Seite waren vier Klos. Wir haben ja nicht Bretter gehabt, so wie die Männer. Vier Klos im Block. Nur drei Klos sind benützt worden, durften benützt werden. In dem anderen hat man müssen was lagern. Also, die Blockältesten haben den Befehl gehabt. Und jetzt stell dir vor: 500 Frauen von einer Seite können sich in einer halben Stunde [anstellen]. [Dann] müssen sie das Bett auch machen [und sich auch] dort waschen.“ [1]

Die Möglichkeiten zur Körperhygiene waren ungleich verteilt
Die Möglichkeiten, sich sauber zu halten, waren ungleich verteilt. Während 1941 im Block 1 180 Funktionshäftlinge untergebracht waren, befanden sich im „Judenblock“ Nr. 11 rund 300 Häftlinge. [2] Im Gegensatz zu den anderen „gewöhnlichen“ Häftlingen hatten die Funktionshäftlinge, die täglich mit der SS in Kontakt kamen, mehr Gelegenheit sich zu waschen. Sie durften auch die Kleider öfters wechseln. Die SS hatte nämlich Angst vor ansteckenden Krankheiten und gestand daher diesen Häftlingen bessere hygienische Standards zu.
Mit der Überfüllung des Lagers verschlechterten sich die hygienischen Bedingungen nochmals. Im Zelt, das die Lagerleitung für die weiterhin ankommenden Transporte errichtete, waren die hygienischen Zustände am schlimmsten, da dort jegliche sanitäre Einrichtungen fehlten.

„Hygienemaßnahmen“ als Schikane und sexualisierte Gewalt
In den Erinnerungen der meisten KZ-Häftlinge, Frauen wie Männer, gehörte die Aufnahmeprozedur zu den überaus demütigenden Erfahrungen. Insbesondere das Scheren aller Körperhaare wurde als sehr erniedrigend empfunden. Laut SS war dies eine Vorbeugung gegen Ungeziefer oder eine Maßnahme zu deren Bekämpfung.
„Alle, die Verkehr mit Ausländern gehabt haben, haben eine Glatze rasiert gekriegt. Und von den anderen, die Wanzen oder Flöhe gehabt haben, haben sie auch, ja, rasiert. […] Also kurz und gut, dann sind wir ins Bad geführt worden und durften uns duschen und dann ist der Arzt gekommen mit etlichen SS-Männern und wir haben eine Nacktparade gemacht. Über manche haben sie sich lustig gemacht, über manche haben sie das gesagt, über manche das.“ [3]
Wie das Zitat auch zeigt, sind nicht alle Häftlinge, sondern vorwiegend bestimmte Gruppen einer (wiederholten) Rasur unterzogen worden. Diese „Hygienemaßnahme“ ist daher als sexualisierte Gewalt zu begreifen. Jüdinnen und Frauen, denen ein verbotenes Verhältnis mit ausländischen Zwangsarbeitern nachgesagt wurde, waren wiederholt von dieser Prozedur betroffen, auch wenn sie keine Läuse hatten.

„Eine Laus dein Tod“
Die mangelnde Hygiene hatte nicht nur Auswirkungen auf die psychische Befindlichkeit der Häftlinge, sondern beeinflusste auch deren Überlebenschancen. Läuse galten als Typhusüberträger, wodurch Häftlingen, die davon befallen waren, nicht nur eine Ansteckung, sondern auch eine Selektion drohte:
„Da hab ich so eine Angst gehabt, dass ich, Maria, da hab ich eine Angst gehabt. Freilich hat sie ausgerufen: Baden, baden. Gell. Ich hab mich versteckt, gell, unter der Decke. Hab ich Angst gehabt, gell, und bis zum nächsten Duschen, nachher, da war ich schon wieder frei von den Läusen. Oja und da war, da war aber, zum Schluss waren aber so viele Läuse, da waren aber Gewandläuse auch. Und da sind 3, 3 Sorten Läuse sind. Ah, wisst ihr das nicht? 3 Sorten: Da sind so gewöhnliche Läuse, gell, nachher Gewandläuse und nachher Filzläuse. Ja und da haben wir, da waren so viele Läuse in Strohsäcken drinnen und überall und da haben sie uns einmal entlaust, gell.“ [4]

Menstruation
Für Frauen stellte sich durch die Menstruation ein zusätzliches Problem. Binden war nicht vorhanden. Regine Chum erinnert sich im Interview, wie sie im Lager das erste Mal die Blutung bekam:
„80 Prozent der Häftlinge, würde ich sagen, … ist die Periode ausgeblieben. So, zu den 20 Prozent habe ich gehört. Ich habe sie gehabt. Ich habe genau gewusst, das Datum, weil ich es immer genau gekriegt habe. Und ich, wie ich sie das erste Mal draußen [im KZ] gekriegt habe, bin ich zur Blockältesten gegangen, weil ich etwas gebraucht hätte, und sie hat zu mir gesagt: ‚Halt die Hand drunter.‘ Also so kannst du dir vorstellen, wie wir wirklich gestunken haben.“ [5]
Wie Regine Chum in diesem Interview erwähnt, blieb bei den meisten Häftlingsfrauen die Menstruation aufgrund des Schocks der Inhaftierung und von Unterernährung aus. Jene, die dieses „Glück“ nicht hatten, wurden oft durch Blockälteste und Aufseherinnen zusätzlich schikaniert.


[1] Antonia Bruha, IKF-Interview von Helga Amesberger (1999).
[2] Bernhard Strebel, Das KZ Ravensbrück. Geschichte eines Lagerkomplexes (Paderborn 2003) S. 185.
[3] Antonia Bruha, IKF-Interview von Helga Amesberger (1998).
[4] Anna Jug, Interview von Christa Putz, Tina Leisch und Lela Gahleitner (1998).
[5] Regina Chum, IKF-Interview von Helga Amesberger (1998).

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