Häftlingsalltag


Inhalt

Häftlingsalltag
Ankunft im Lager
Die Baracke
Der Morgen im KZ
Zwangsarbeit
Hunger als ständiger Begleiter

Häftlingsalltag

„Die Walze“. Zeichnung von Felicie Mertens


Bild von den Baracken von der Niederländerin Atie Siegenbeek
van Heukelom (Quelle: http://www.ravensbruck.nl)


Die Häftlinge konnten ihren Alltag nicht frei gestalten. Ab der Ankunft im KZ wurde alles, vom Aufstehen bis hin zu den WC-Pausen während der Zwangsarbeit, von der SS vorgegeben. Ziel der SS war es, die Persönlichkeit der Häftlinge zu brechen. Schikane und Gewalt prägten daher den Lageralltag, zum Überleben fehlte es am Notwendigsten.

Ankunft im Lager
Die Widerstandskämpferin Dr. Elisabeth Charlotte Dorowin-Zeissl erinnert sich an ihre Ankunft im KZ-Ravensbrück:
„Es war plötzlich ein totales Abschiednehmen von der eigenen Persönlichkeit. Ich würde diesen ersten, die ersten Tage als die Tage des großen Verlustes bezeichnen. Das Erste war der Verlust des Namens. Man ist angekommen und hat statt des Namens eine Nummer bekommen. Die hat man auf seinem Ärmel getragen, mit dem roten Winkel da, die Politischen. Aber man wurde auch mit dieser Nummer gerufen, zum Beispiel von den SS-Leuten, und auch die neuen Kameradinnen, die man kennengelernt hat, kannten einen ja nicht beim Namen. […] Der weitere Verlust, würde ich sagen, war der Verlust der Würde. Man ist plötzlich eine Nummer gewesen, man wurde hin und her geschupft und das Erste war also eine Nacht auf dem Erdboden draußen. Haben wir soweit gut überstanden. Und dann kamen also die Duschen. Das war also der Horror von allen. […] Ringe wurden runtergerissen und fast abgesägt, wenn sie nicht von selber gegangen sind. Irgendwelche Andenken, Ketterl hat man einem vom Hals gerissen, Kleider und so, natürlich alles weg! Man ist sozusagen vollkommen nackt und bloß dagestanden, und – viele sind geschoren worden. Was merkwürdigerweise so ein besonderer Schock für viele war. Ich hab’s nie ganz verstanden, weil es tut nicht weh, Haare wachsen nach. Aber es war irgendwie so ein Eingriff in die Persönlichkeit. […] Und da habe ich eine köstliche Erinnerung: wir waren also dann fertig, und dann hat eine Aufseherin gesagt, da waren wir also vollkommen nackt: ‚Also, jetzt rennt’s dort hinüber, dort über die Lagerstraße, in den Block sowieso, dort ist die ärztliche Untersuchung!‘ Da sind also SS-Männer herumgestanden. Und wir haben noch, also eingedenk unserer früheren Würde, einen Moment gezögert. Da hat die eine Französin, eine ältere Dame, eine große Widerstandskämpferin, gesagt: ‚Kinder, ein SS-Mann ist kein Mann. Das ist kein Mensch. Das ist für mich ein Kasten.‘ Und darüber waren wir so, haben wir so lachen müssen, dass wir dann hinausgelaufen sind, mit erhobenem Kopf an denen vorbei. (lacht) Das sind ja doch nur Kästen! Und es war plötzlich so eine Hilfe für uns, das Gleich-, das Gleichgewicht wiederzufinden.“ [1]
Zur Häftlingskleidung, die aus einem gestreiften Drillichanzug oder -kleid bestand, wurden zumeist Holzschuhe ausgehändigt. Mit zunehmender Überfüllung des Lagers behalf man sich mit (zerschnittener) ziviler Kleidung, in die man zur Kennzeichnung Kreuze einnähte oder aufmalte.

Die Baracke
Der zentrale Ort des Häftlingslebens war die Baracke. Sie bestand aus zwei großen Schlafräumen (mindestens je zwei Frauen mussten sich ein Bett teilen), zwei Tagräumen, WC-Anlagen (sogenannten „Latrinen“) und einem Waschraum mit Hand- und Fußwaschbecken.
„Brandt [Stubenälteste] wies mir das Parterrebett zu, in dem zwei ältere Damen lagen. Wirkliche Damen, im Gegensatz zu den Übrigen. Auch hier traf es mich, in der Mitte zu liegen, auf dem Spalt zwischen den Brettern, wo es kalt herauf zog. Meine Jacke diente mir als Kopfkissen und alles Übrige, bis auf die Schuhe, musste ich anbehalten. Jede der Damen gab mir wohl ein Stückchen ihrer Decken, doch zogen sie diese im Schlaf wieder fort. Mir war Tag und Nacht kalt. Kein BH, kein Strumpfgürtel, nichts, was ich gewöhnt war, nichts, was ein bisschen gewärmt hätte, besaß ich. Mit der Zeit roch mein ‚Gewand‘ vom Strohsack – einfach ekelhaft!“ [2]
Die Baracken waren unterschiedlich stark belegt. 1941 waren die Blöcke 1-3, in denen politische Gefangene lebten, mit 180 Frauen belegt, während die Blöcke der Jüdinnen und der als „Zigeunerinnen“ Verfolgten bereits mit 300 Frauen überbelegt waren. [3] Mit zunehmender Überfüllung litten alle Häftlingsgruppen unter der immer größer werdenden Raumnot.

Der Morgen im KZ
Um 4.30 Uhr wurden die Frauen durch eine Sirene geweckt. Nur wenige Minuten blieben den Häftlingen, um sich zu waschen. Die Möglichkeiten zur Körperhygiene waren ungleich verteilt. Anschließend hatten die Frauen das Bett zu machen und stellten sich um ein Frühstück an, das lediglich aus Ersatzkaffee bestand:
„In der Früh gab es sogenannten Kaffee. Was es wirklich war, konnte ich nie feststellen. Es war ein hellgelbes Wasser, das ich nur deshalb trank, weil man das ungekochte Wasser wegen der schlechten Leitung und Kanalisation nicht trinken konnte. Wer es trotzdem tat, wurde krank und konnte daran sterben.“ [4]
Anschließend wurden sie zum Zählappell auf den Appellplatz hinausgetrieben:
„Bei jedem Wetter sind wir ausgerückt in die Siemens. Wir sind erst in der Früh Appell gestanden, und wenn es nicht gestimmt hat, sie haben uns zehnmal gezählt, bis es gestimmt hat, verstehst du? Das einmal, bei jedem Wetter: Regen, Schnee, heiß, das war wurscht, sie haben uns gezählt, da warst du schon kaputt vom Stehen. Ja, dann bist in die Arbeit marschiert, wenn’s geregnet hat, du hast immer dasselbe angehabt, du bist nass geworden, in den nassen Kleidern sind die Frauen gesessen und haben gearbeitet, ja, haben gearbeitet, das hat gedampft von den Frauen.“ [5]
Vom Morgenappell aus ging es zur Arbeit.

Zwangsarbeit
Die Art der Zwangsarbeit bestimmte die Überlebenschancen wesentlich mit. Frauen, die in einem Innenkommando wie z.B. der Verwaltung als Schreibkräfte unterkamen, waren in der Regel geschützter als jene in den Außenkommandos. Durch die Netzwerke der politischen Häftlinge gelang es vielen von diesen, die weniger lebensbedrohlichen Arbeitsplätze unter sich zu verteilen. Zudem wollte die SS mit der Einteilung in Arbeitskommandos die zugeschriebene Minderwertigkeit bestimmter Häftlingsgruppen zur Schau stellen. Zu diesen doppelt Benachteiligten gehörte die als „Zigeunerin“ verfolgte Sintezza:
„Ich war immer im Außenkommando. Schwer arbeiten haben wir müssen, Straßen bauen. Viel Hunger, viele Schläge. Mit der vielen Arbeit, mit dem vielen Hunger und mit den Schlägen haben sie dich moralisch umgebracht. Und wenn du tot warst, hinein in den Ofen. Kilometersteine haben wir ausgegraben und Pflastersteine [sic]. Eine Vorarbeiterin, die von den Zigeunern war, hat manchmal gesagt, ihr dürft’s euch ein bissel ausrasten. Sie hat aufgepasst, ob eine Beamtin gekommen ist. Aber im Winter hast du freiwillig durchgearbeitet, so schnell wie möglich, weil sonst wärst du erfroren.“ [6]
Für die Häftlinge wurden keine Sicherheitsvorkehrungen getroffen, was zu zahlreichen Arbeitsunfällen führte. Zudem waren sie auch während der Arbeitseinsätze im Freien, die ab 1942 elf Stunden täglich dauerten, nur mangelhaft bekleidet. Danach kehrten die Frauen ins Lager zurück und mussten Appell stehen. Nach dem Abendappell, der auch mehrere Stunden dauern konnte, gab es „Freizeit“. Der Sonntag war arbeitsfrei.

Hunger als ständiger Begleiter
Erschwerend zu den Arbeitsbedingungen kam der Hunger:
„Und was hat man denn zu Essen gekriegt, morgens Kaffee, und ein Stück Brot für den ganzen Tag. Mittag gab es eine dünne Suppe, eine Wassersuppe, und das werde ich auch nie vergessen, da hieß es einmal abends, es gibt heute Käse. Und da hatten sie Handkäse, diese Quargeln, ja. Die waren aber alle lebendig. Lauter Maden waren da überall drauf. Wir haben es trotzdem gegessen. Das muss man sich mal vorstellen, wie groß der Hunger [war], dass der Hunger den Ekel überwindet.“ [7]
Einmal in der Woche erhielten die Häftlinge einen Löffel Schmalz, etwas Marmelade und eine Scheibe Wurst. Ab April 1944 wurde die Brotration von 500 g auf 200 g reduziert. Das Leben der Häftlinge war mehrfach bedroht. Körperlich stark geschwächte oder kranke Häftlinge liefen daher auch Gefahr, von den BewacherInnen bei der sogenannten „Selektion“ als arbeitsunfähig eingestuft zu werden, was die Ermordung zur Folge hatte. Doch der Hunger hatte nicht nur körperliche Auswirkungen. Diebstähle unter den Häftlingen häuften sich und in den Baracken gab es während der Verteilung des Essens Auseinandersetzungen. Manche Häftlinge erhielten von ihren Angehörigen Lebensmittelpakete, wobei die SS deren Inhalt nur zum Teil an die Frauen tatsächlich weitergab.


[1] Elisabeth Charlotte Dorowin-Zeissl, Interview von Hemma Mayrhofer (1999).
[2] Carmella Flöck, … und träumte, ich wäre frei. Eine Tirolerin im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Erinnerungen an den Widerstand und Haft 1938-1945.
Hg. von Friedrich Stepanek (Innsbruck 2012) S. 85.
[3] Bernhard Strebel, Das KZ-Ravensbrück. Geschichte eines Lagerkomplexes (Paderborn 2003) S.185.
[4] Flöck, … und träumte, S. 86.
[5] Irma Trksak, Interview von Brigitte Halbmayr (1998).
[6] Rosa Winter, Wie es so war unser Leben. In: Ludwig Laher (Hg.), Uns hat es nicht geben sollen. Rosa Winter, Gitta und Nicole Martl. Drei Generationen Sinti-Frauen erzählen (Grünbach 2004) S. 23-53, hier S. 36.
[7] Lieselotte Hais, IKF-Interview von Brigitte Halbmayr (1999).

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