Salzburg


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SalzburgerInnen im KZ Ravensbrück
Die Goldegger Gruppe

SalzburgerInnen im KZ Ravensbrück
Unter den nach Ravensbrück deportierten ÖsterreicherInnen waren 65 Frauen und fünf Männer, die im Bundesland Salzburg geboren worden waren. Zum Zeitpunkt der Verhaftung lebten noch 54 Personen in diesem Bundesland. [1] Die Hälfte der aus Salzburg kommenden Ravensbrück-Häftlinge wurde wegen „politischen Widerstands“ inhaftiert. Die zweitgrößte Verfolgtengruppe waren mit 36 Prozent die ZeugInnen Jehovas. Unter den politischen Häftlingen befanden sich mindestens 14 Frauen aus der Gemeinde Goldegg/Pongau, die sogenannte Fahnenflüchtlinge, also Deserteure der Wehrmacht, versteckt hatten. Von den 54 Frauen, die zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung im Bundesland Salzburg wohnten, kam fast ein Drittel während der Verfolgung um, die Hälfte hat überlebt. Über das Schicksal des restlichen Fünftels konnten wir nichts in Erfahrung bringen.

Die Goldegger Gruppe
Die Gemeinde Goldegg liegt im Salzburger Pongau. Dort wurde am 2. Juli 1944 eine Widerstandsgruppe zerschlagen. Im Protokoll der Gemeinderatssitzung des Markts Pongau ist über die Tätigkeit der Gruppe und deren Verhaftung zu lesen:
„Weiters gibt Herr Bürgermeister bekannt, daß in den ersten Julitagen durch die Geheime Staatspolizei der Zementwarenerzeuger Kaspar Wind, der Frächter Alois Buder mit Frau, der Res. Gendarm Anderl [richtig: Anderle], die Kerkermeisterin Wimpissinger, die Angestellte O., sowie der Obermüller Anton Mayer verhaftet wurden. Den Vorgenannten wird zur Last gelegt, daß sie mit den Fahnenflüchtigen und entsprungenen Häftlingen in Goldegg-Weng in Verbindung standen. Die Erhebungen ergaben, daß Wind Kaspar Sprengmittel in Aufbewahrung hatte und Buder bei den Aktionen des Wind sich mitbeteiligte. Der Bürgermeister bringt klar zum Ausdrucke, daß für solche Elemente eine Gefühlsduselei nicht am Platze ist und verpflichtet die Gemeinderäte über den Vorfall die Bevölkerung entsprechend aufzuklären.“ [2]
Die SS und die Gestapo hatten zuvor zahlreiche Spitzel eingeschleust. In einer groß angelegten Aktion – insgesamt 1000 Angehörige der Waffen-SS beteiligten sich an ihr – durchsuchten in der Nacht vom 1. zum 2. Juli 1944 das Gebiet zwischen Mühlbach am Hochkönig und Dienten/Pinzgau. Die Frauen in dieser auch als Widerstandsgruppe „Wind“ bekannten Gruppe versteckten und versorgten Deserteure der Wehrmacht. Die „Fahnenflüchtigen“ waren meist mit den Frauen verwandt – Verlobte, Ehemänner, Brüder, Schwager. Wie brutal die SS vorging, belegt die Aussage von Elisabeth Hochleitner, deren Geliebter Karl Rupitsch von der SS gesucht wurde:
„Es wurde das Haus nach Rupitsch untersucht, [sie] konnten ihn aber nirgends finden. Ich wurde dann vom König und Erdmann [beide SS] in meine Schlafkammer gerufen, wo ich meinen Kleiderkasten ausräumen mußte. Da dem Erdmann dies aber zu langsam ging, versetzte er mir mit seinem Gewehre einen Stoß in den Bauch, so daß ich zu Boden stürzte. Ich mußte aber sofort wieder aufstehen und weiter den Kasten räumen. Hierbei versetzte mir auch König mit irgendeinem mir nicht mehr erinnerlichen Gegenstand einen Stoß in den Rücken. … Dort musste ich mich über einen Sessel legen und hat mich dann Erdmann mit einem Haselnuß-Skistocke derart über den Rücken geschlagen, daß dieser Stock in Trümmer ging.“ [3]
Elisabeth Hochleitner erzählte dann, wie ihre Brüder weggebracht wurden und später auch sie abgeholt wurde. Am Weg fand Frau Hochleitner die Leichen ihrer beiden hingerichteten Brüder. Sie selbst wurde so stark misshandelt, dass sie kaum mehr gehen konnte.

An diesem Tag wurden insgesamt 50 Personen festgenommen. Die Verhafteten wurden zunächst nach Salzburg Stadt in Untersuchungshaft gebracht und dann ein Teil von ihnen in verschiedene Konzentrationslager verschleppt. [4] Die „Goldeggerinnen“ kamen über das Polizeigefängnis Salzburg am 13. August 1944 ins Polizeigefängnis Leipzig, von wo sie am 27. August ins KZ Ravensbrück überstellt wurden. Unter den Frauen befanden sich Junge und Alte sowie eine Schwangere. Der Großteil dieser Frauen überlebte das Konzentrationslager Ravensbrück, zwei jedoch kamen um: Theresia Buder und Theresia Bürgler. Frau Buder, die in Ravensbrück die Häftlingsnummer 61366 erhielt, starb dort Ende Februar 1945 im Alter von nur 35 Jahren. Frau Bürgler war zum Zeitpunkt ihres Todes 48 Jahre alt. Sie wurde nach Zeitzeuginnenberichten im Februar 1945 in der Ravensbrücker Gaskammer ermordet. Mit Ausnahme von Theresia Kössner waren alle anderen „Goldeggerinnen“ bis zum Kriegsende inhaftiert. Frau Kössner wurde aufgrund ihrer Schwangerschaft im Oktober wieder ins Polizeigefängnis Salzburg rücküberstellt und schließlich drei Wochen später endgültig entlassen.

Über das weitere Leben der „Goldeggerinnen“ ist wenig bekannt. Die meisten kehrten in ihr Heimatdorf zurück; die wenigsten wollten über die Verfolgung sprechen. Ein Grund hierfür war sicherlich, dass die Deserteure der Wehrmacht viele Jahrzehnte als Vaterlandsverräter behandelt wurden. Erst in diesem Jahrhundert rehabilitierte die Republik Österreich die Fahnenflüchtigen. Daher gilt wohl die Aussage von Schütte-Lihotzky für die „Goldeggerinnen“ im Salzburger Polizeigefängnis auch heute noch:
„Alle diese Frauen haßten den Krieg, keine einzige weinte oder jammerte, alle standen für ihre Überzeugung voll und ganz ein. Wer wußte damals in Österreich und wer weiß heute, daß sich in den Salzburger Bergen ein ganzes Dorf gegen den Krieg erhob und dafür das Leben einsetzte?“ [5]


[1] Diese und die im Folgenden angeführten Zahlen beziehen sich auf die quantitative Auswertung der vom IKF durchgeführten Namentlichen Erfassung von ÖsterreicherInnen im KZ Ravensbrück. Insgesamt konnten 2.713 Frauen und Männer recherchiert werden. Nicht zu allen Personen liegen sämtliche Daten vor; die statistischen Auswertungen betreffen daher oft eine kleinere Anzahl. Vgl. im Folgenden Helga Amesberger, Brigitte Halbmayr, ÖsterreicherInnen im KZ Ravensbrück. Quantitative Auswertung der Datenbank (unveröffentlichter Forschungsbericht, Wien 2012).
[2] Zitiert nach: Robert Stadler, Michael Mooslechner, St. Johann/Pg 1938-1945. Das nationalsozialistische „Markt Pongau“. Der „2. Juli 1944“ in Goldegg: Widerstand und Verfolgung (Salzburg 1986) S. 127.
[3] Niederschrift, aufgenommen mit Elisabeth Hochleitner am 28. Feber 1947 in Goldegg; zitiert nach: Robert Stadler und Michael Mooslechner, St. Johann/Pg 1938-1945, S. 132f. Vgl. auch DÖW, Widerstand und Verfolgung in Salzburg 1934-1945. Eine Dokumentation, Band 2 (Wien/Salzburg 1991) S. 542-544.
[4] Auf der Website „Die Goldegger Wehrmachtsdeserteure“ (www.goldeggerdeserteure.at) finden sich Biografien zu den verfolgten Deserteuren und deren UnterstützerInnen, darunter auch zahlreiche Frauen, die im KZ Ravensbrück inhaftiert waren.
[5] Margarete Schütte-Lihotzky, Erinnerungen aus dem Widerstand 1938-1945 (Hamburg 1985) S. 173, zitiert nach: Robert Stadler, Michael Mooslechner, St. Johann/Pg 1938-1945, S. 136.

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