Niederösterreich


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NiederösterreicherInnen im KZ Ravensbrück
Die Verfolgung der ZeugInnen Jehovas

NiederösterreicherInnen im KZ Ravensbrück

Foto von Leopoldine Weihmann (vermutlich nach 1945). (Quelle: Zeugen Jehovas Deutschland)


Gestapoaufnahme von Leopoldine Weihmann (geschiedene Konwiczka). (Quelle: WStLA, GESTAPO)


Erkennungsdienstliche Karte der Gestapo (Quelle: Zeugen Jehovas Deutschland)
Knappe 10% aller österreichischen Inhaftierten in Ravensbrück, von denen wir den Geburtsort kennen, waren gebürtige NiederösterreicherInnen. [1]

Die Haftgründe sind relativ breit gestreut. Mehr als die Hälfte aller NiederösterreicherInnen waren als „Politische“ inhaftiert, davon mehr als ein Drittel wegen „verbotenem Umgang“. Die nächstgrößten Gruppen stellen die als „Zigeunerinnen“ verfolgten Niederösterreicherinnen (rund ein Viertel) und die „Zeugen Jehovas“ (14%) dar.

Die Verfolgung der ZeugInnen Jehovas
Die ZeugInnen Jehovas, früher „ernste Bibelforscher“ genannt, traten in Österreich erstmals 1930 mit dem Verein „Wachturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft“ in Erscheinung. Im Jahr 1935 wurde der Verein verboten [2] als Religionsgemeinschaft wurden sie in Österreich erst 2009 anerkannt. Die Gruppe der „ernsten Bibelforscher“ in Österreich war zahlenmäßig recht klein: 1937 waren dies 549 Personen. Der Großteil von ihnen, nämlich 445 Frauen und Männer, wurde durch die Nationalsozialisten verfolgt. [3] Sie wurden meist wegen Wehrkraftzersetzung oder nach dem „Heimtückegesetz“ verurteilt. [4] Die Strafen reichten von Haft (in Gefängnissen und Konzentrationslagern) bis zur Hinrichtung. Hatten sie Kinder, wurden ihnen diese weggenommen und zur Umerziehung in Waisenheime oder zu nationalsozialistisch gesinnten Pflegeeltern gegeben.

So auch die sechs Kinder von Anna und Stefan Piringer aus Zell/Ybbs in Niederösterreich. In einem Brief erkundigten sie sich bei den Pflegeeltern nach dem Befinden ihres dreijährigen Sohnes Franz:
„Wir, Anna und Stefan Piringer, ersuchen, uns volle und aufrichtige, wahre Mitteilung zu machen, wie es unserem Kinde Franzerl geht!? Ob er gesund ist? Ob er operiert wurde, da er einen Bruch hatte? Er ist, wie Sie gesehen haben werden, schon einmal operiert worden, hier in Waidhofen a.d. Ybbs. Aber die Herren Ärzte haben es nicht gekannt, wo das Kind den Bruch hatte, und hatten ihn an der verkehrten Stelle operiert. […] Das Kind Franzi war im Februar erst 3 Jahre alt, folge dessen glaubt man, mit dem Kinde tun zu können, was man will. Aber bildet Euch das ja nicht ein, denn das Kind steht unter Gottesschutz.“ [5]
Dieser Brief und die darin enthaltene Bekräftigung ihres Glaubens führten zur Verhaftung und Deportation in die KZ Dachau bzw. Ravensbrück. Stefan Piringer kam 1942 in Dachau um, Anna Piringer starb 1944 an Hungertyphus in Ravensbrück.

Die ZeugInnen Jehovas hatten die Möglichkeit, der Inhaftierung und Verschleppung zu entgehen, wenn sie dem Glauben abschwörten. Auch in den Konzentrationslagern bestand noch diese Möglichkeit. Nur sehr wenige taten dies. Im Gegenteil, viele versuchten auch noch im Lager, Menschen von ihrem Glauben zu überzeugen. Sie weigerten sich, für die Rüstungsindustrie zu arbeiten, den Hitlergruß zu entrichten oder auch Appell zu stehen. Dies wäre einem Dienst für eine staatliche Macht gleichgekommen, was sich nicht mit ihrem Glauben vereinen ließ. Die SS versuchte auf brutalste Weise, ihren Widerstand zu brechen.

Sie versuchten es auch bei der gebürtigen Niederösterreicherin Leopoldine Konwiczka: an ihr wurden Knochenversuche durchgeführt und sie konnte mehrmals der Selektion zur Vergasung nur knapp entrinnen. Nichtsdestotrotz unterstützte sie nicht nur ihre „Schwestern“, sondern auch die politischen Häftlinge im Lager, wie einem Bericht von Maria Berner zu entnehmen ist:
„Als es einmal notwendig war, eine Post aus dem Lager zu schicken betreffend die Rettung der gelähmten Mathilde Auferbauer, wurde dies von einer Bibelforscherin zusammen mit Toni Bruha besorgt. Die Bibelforscherin Konwiczka konnte in der SS-Wohnung, in der sie aufräumte, ausländische Sender abhören und brachte immer neue Nachrichten, vor allem über den Stand an der Front, ins Lager.” [6]
Für eine Zeugin Jehovas war das sehr unüblich, da es ihr Glaube verbot, sich in irgendeiner Weise politisch zu betätigen.

Laut dem Ausstellungskatalog „Die vergessenen Opfer der NS-Zeit“ sind für Niederösterreich 56 Opfer aufgelistet, davon sind 15 hingerichtet worden oder in Gefängnissen und Konzentrationslagern umgekommen. [7] Insgesamt wurden 48 österreichische ZeugInnen Jehovas hingerichtet und mindestens 81 sind in der Haft gestorben. [8]


[1] Die im Folgenden angeführten Zahlen beziehen sich auf die quantitative Auswertung der vom IKF durchgeführten Namentlichen Erfassung von ÖsterreicherInnen im KZ Ravensbrück. Insgesamt konnten 2.713 Frauen und Männer recherchiert werden. Nicht zu allen Personen liegen sämtliche Daten vor; die statistischen Auswertungen betreffen daher oft eine kleinere Anzahl. Vgl. im Folgenden Helga Amesberger, Brigitte Halbmayr, ÖsterreicherInnen im KZ Ravensbrück. Quantitative Auswertung der Datenbank (unveröffentlichter Forschungsbericht, Wien 2012).
[2] Jürgen Noll, Jehovas Zeugen als Bekenntnisgemeinschaft. Rechtsfragen um eine religiöse Minderheit, Schriftenreihe Colloquium, Band 4 (Wien 2001) S. 95f.
[3] Noll, Jehovas Zeugen, S. 96.
[4] Als Wehrkraftzersetzung und Heimtücke galt etwa die (Anstachelung zur) Kriegsdienstverweigerung oder Selbstverstümmelung, um dem Wehrdienst zu entgehen, aber ebenso konnte jede negative Äußerung gegenüber dem Regime als Wehrkraftzersetzung und Heimtücke angeklagt werden.
[5] Auszug aus dem im Urteil des Landgerichts St. Pölten als Sondergericht KLs 46/40 vollständig wiedergegebenen Briefes, DÖW 14199.
[6] Bericht Maria Berner, DÖW 3073.
[7] Jehovas Zeugen, Österreich (Hg.): Die vergessenen Opfer der NS-Zeit. Standhaft trotz Verfolgung. Ausstellungskatalog (Wien 1999) S. 34.
[8] Noll, Jehovas Zeugen, S. 96f.

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