Als ‚asozial‘ Verfolgte im KZ Ravensbrück


Inhalt

Wie kam es zur Verfolgung von Menschen als ‚Asoziale‘?
Dominante Zuschreibungen
Zwangsmaßnahmen
Als ‚asozial‘ verfolgte Österreicherinnen in den KZ Ravensbrück und Uckermark
Die Verfolgung von unangepassten Jugendlichen
Die Haft und (Über-)Lebensbedingungen im Konzentrationslager
‚Asoziale‘ Häftlinge im Ravensbrücker Männerlager


Wie kam es zur Verfolgung von Menschen als ‚Asoziale‘?
Die Nationalsozialisten wollten eine rassistisch definierte ‚arische Volksgemeinschaft‘ schaffen, aus der Jüdinnen und Juden, ‚ZigeunerInnen‘ und andere als ‚minderwertige Rasse‘ ausgeschlossen waren. Gleichzeitig sollte die ‚arische Volksgemeinschaft‘ von ‚schädlichen Elementen‘ innerhalb der eigenen Reihen ‚bereinigt‘ werden. Dies führte zur sogenannten Euthanasie von ‚Erbkranken‘, d.h. der Tötung von geistig und körperlich Behinderten.
Dies führte aber auch zur Verfolgung von ‚Asozialen‘. Denn auch ‚Asozialität‘ galt als vererbbar. Damit wurde ein soziales Verhalten biologisiert, d.h. zu einem angeborenen Wesensmerkmal eines Menschen gemacht. Dieses Denken geht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Etwa ab Beginn des 20. Jahrhunderts galten als Ursache für eine ‚sittliche Verwahrlosung‘ nicht nur umweltbedingte (also etwa familiäre), sondern auch anlagebedingte Faktoren. Negative Erbanlagen sollten sich möglichst wenig in der Bevölkerung ausbreiten. Im Nationalsozialismus entfaltete dieser Zugang eine geradezu lebensbedrohliche Dynamik.

Mit Bildern und Plakaten wie diesen sollte die Bevölkerung auf die ‚Gefahren‘ für die ‚arische Volksgemeinschaft‘ aufmerksam gemacht werden. Sie zeigen, dass die Biologisierung sozialer und menschlicher Eigenschaften wesentlicher Bestandteil von ‚Rassenhygiene‘ und Eugenik waren. Das rechte Bild ist entnommen aus: Otto Helmut: Volk in Gefahr. Der Geburtenrückgang und seine Folgen für Deutschland, München/Berlin 1938.




Bis Kriegsende gab es keine allgemein gültige Definition von ‚Asozialität‘. Die nationalsozialistischen Behörden zogen für die Einordnung von Menschen als ‚asozial‘ die Richtlinie zur Umsetzung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GzVeN) aus dem Jahre 1940 heran.
Als ‚asozial‘ und ‚gemeinschaftsfremd‘ galt gemäß dieser Richtlinie, wer
  • fortgesetzt mit Strafgesetzen in Konflikt kam,
  • als angeblich arbeitsscheu den Unterhalt für sich und seine Kinder nicht aufbringen konnte und Wohlfahrtsunterstützung brauchte,
  • keinen geordneten Haushalt führte und die Kinder nicht zu brauchbaren Volksgenossen erzog,
  • alkoholkrank war oder durch unsittlichen Lebenswandel auffiel (z.B. Prostituierte).

Verlautbarung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
(GzVeN) im Reichsgesetzblatt, Juli 1933


















Dominante Zuschreibungen
Bei Frauen erfolgte die Zuschreibung der ‚Asozialität’ in der Praxis primär entlang zweier Hauptstränge [1]: zum einen anhand ihrer vermeintlichen Sexualität, ihrer angeblichen ‚sexuellen oder sittlichen Verwahrlosung‘. Sehr häufig wurde ihnen Geheimprostitution unterstellt, ‚Prostituierte‘ galten generell als ‚asozial‘. Zum anderen – und damit zusammenhängend – wurde ihnen fehlende Arbeitsmoral nachgesagt. Vielfach überschnitten sich in den Begründungen der ‚Asozialität‘ diese beiden Argumentationsstränge, sodass die Zuschreibung der ‚Verwahrlosung‘ sowohl sittliche wie auch arbeitsmoralische Komponenten aufwies.

Bei der Stigmatisierung als ‚asozial‘ wurde Männern signifikant häufiger Vagabundage, Bettelei und Versagen als Familienernährer zur Last gelegt, wenn auf ihre allgemeine Lebensführung Bezug genommen wurde. Zudem wurde ihnen im Unterschied zu Frauen zugestanden, ihre Sexualität zu leben. ‚Häufig wechselnder Geschlechtsverkehr‘ galt bei ihnen nicht als Abweichung von herrschenden Normvorstellungen.

                   

Dieses „Merkblatt zur Erfassung der Gemeinschaftsunfähigen“                       Dieses Formular wurde vom Rassenpolitischen Amt Wien zur Kategorisierung
gab das Rassenpolitische Amt Steiermark im Dezember 1942                       als ‚asozial‘ verwendet. (Quelle: DÖW, 21.288/18, ohne Datum)
heraus. (Quelle: Landesarchiv Steiermark, LReg 200_II_1943,
Karton 3229)


Zwangsmaßnahmen
Zu den am öftesten angewandten Zwangsmaßnahmen gegen Frauen gehörten Einweisungen in Arbeitsanstalten. Mindestens tausend Frauen wurden österreichweit in die Arbeitsanstalten Am Steinhof und Klosterneuburg im damaligen Reichsgau Wien, Znaim im damaligen Niederdonau und in den Wanderhof Bischofsried in Bayern eingewiesen. [2] Dort wurden sie zwischen einigen Monaten und zwei Jahren festgehalten (durchschnittlich acht Monate). Diese waren geprägt von Zwangsarbeit, Drill und ‚Erziehungsmaßnahmen‘ verschiedener Art. An zahlreichen als ‚asozial‘ Stigmatisierten wurde aufgrund von als psychiatrisch getarnten sozialen Diagnosen wie ‚angeborener Schwachsinn‘ eine Zwangssterilisation vollzogen – ein Eingriff, der bei den Frauen zu erheblichen psychischen wie physischen Spätfolgen führte. Viele Frauen wurden mit dem Verfolgungsgrund ‚asozial‘ in ein Konzentrationslager eingewiesen, zumeist in das KZ Ravensbrück; die Jugendlichen ins benachbarte Jugend-KZ Uckermark.
Als ‚asozial‘ verfolgte Männer kamen ebenfalls in Arbeitsanstalten. So wurden in Znaim Frauen und Männer festgehalten. Viele Männer wurden in von der Gestapo geführte Arbeitserziehungslager (AEL) eingewiesen, wie z.B. in jenes von Oberlanzendorf, das größte AEL auf österreichischem Boden. Deutlich mehr Männer als Frauen wurden im Zuge der ‚vorbeugenden Verbrechensbekämpfung‘ von der Kriminalpolizei in Konzentrationslager eingewiesen.

Bild oben: Marie B. blieb nach der bedingten Entlassung aus der Arbeitsanstalt
Am Steinhof weiterhin unter Beobachtung der Fürsorgerin. (Quelle: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Städtische Arbeitsanstalt Frauen, Karteikarte Am Steinhof, Dezember 1942)

Bild links: Einweisungsbefehl betreffend Stefanie B. in das Arbeitserziehungslager Thondorf vom 30.12.1944, ausgestellt von der Geheimen Staatspolizei, Sittenpolizeistelle Graz. Nach der Entlassung sollte B. wieder der Weiblichen Kriminalpolizei übergeben werden. (Quelle: Landesarchiv Steiermark, Kriminalpolizei Graz – Strafakten)


Als ‚asozial‘ verfolgte Österreicherinnen in den KZ Ravensbrück und Uckermark
Im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück waren unter den rund 132.000 Häftlingen aus ganz Europa geschätzte 5.000 aus Deutschland und Österreich mit dem Haftgrund ‚asozial‘ inhaftiert. Unter ihnen konnten wir bislang circa 100 Frauen aus Österreich nachweisen, doch ihre tatsächliche Zahl dürfte weit höher sein.
Die Einlieferung von als ‚asozial‘ Kategorisierten in ein Konzentrationslager erfolgte meist durch die Kriminalpolizei, die diese Personen ab 1938 auch ‚vorbeugend‘ wegsperren konnte. Mehr als die Hälfte der uns bekannten als ‚asozial‘ verfolgten Österreicherinnen gelangte schon zwischen 1938 und 1940 in die Verfolgungsmaschinerie. Sehr viele von ihnen überlebten die Konzentrationslagerhaft nicht.
Die Inhaftierten mit schwarzem Winkel wurden für schwere und schmutzige Arbeiten, wie Bauarbeiten oder die Säuberung der Kläranlage und Kanäle, herangezogen. Einige von ihnen zwang die SS, in den Lagerbordellen anderer Konzentrationslager zu arbeiten.
Eine der uns bekannten Ravensbrück-Häftlinge mit Haftgrund ‚asozial‘ war Anna St. Sie stammte aus der Nähe von Bruck/Mur in der Steiermark, wo sie 1903 zur Welt kam. Ab 1925 wurde sie mehrfach aufgrund des Verdachts der geheimen Prostitution sowie der Vergehen verbotener Rückkehr oder Diebstahl von der Kripo festgenommen. Aus der Zeit des Nationalsozialismus findet sich nur ein Eintrag: „St. befindet sich seit 7.8.1940 im K.Z. Dachau.“[3] Sie wurde also von der Kripo im August 1940 in Vorbeugungshaft genommen – allerdings nicht im Konzentrationslager Dachau, wie irrtümlich vermerkt, sondern im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Vier Jahre nach ihrer Deportation ins KZ, am 30. August 1944, kam sie dort um, die näheren Umstände dazu sind nicht bekannt. Ein weiteres Beispiel ist Amalie Hoisl, deren Verfolgungsgeschichte auf dieser Website nachzulesen ist.

Die Verfolgung von unangepassten Jugendlichen
Jugendliche waren von den Zwangsmaßnahmen nicht ausgenommen – im Gegenteil: Die Jugend geriet als Trägerin der Zukunft verstärkt unter die Kontrolle der nationalsozialistischen Machthaber. Weiblichen Jugendlichen galt dabei – als zukünftigen Ehefrauen und Müttern – besonderes Augenmerk. Eine Einschätzung als ‚sexuell triebhaft‘ war oft der Beginn einer Maßnahmenkette, die über Heimaufenthalte, Einweisungen in Arbeitsanstalten, Zwangssterilisation bis hin zu KZ-Haft führen konnte.
Bei den Begründungen ihrer Haft, die von Arbeitsverweigerung über Renitenz und kritischen politischen Äußerungen bis hin zu Kriminalität reichen, wird abermals der enge Konnex von ‚Verwahrlosung‘ und Sexualität bei Mädchen deutlich: Insbesondere Geschlechtskrankheiten galten als Beleg für ‚sexuelle Verwahrlosung‘. Eine Melange aus einigen der genannten Argumente hatte auch bei Käthe Anders eine Konzentrationslagerhaft zur Folge. Bei Burschen wurde die ‚Verwahrlosung‘ häufiger anhand ihrer Straffälligkeit festgemacht.[4]
Der Reichsgau Wien machte von der ab Juni 1942 bestehenden neuen Möglichkeit der Unterbringung von minderjährigen jungen Frauen in Lagern der Kriminalpolizei in hohem Maße Gebrauch, wie der Höhere SS- und Polizeiführer Dr. Kaltenbrunner in einem Schreiben an den HJ-Gebietsführer Karl Kowarik ausführte. Paul Werner, Stellvertretender Leiter des Reichskriminalpolizeiamts in Berlin, listete zu Jahresbeginn 1944 allein für Wien 85 Einweisungsanträge bis dahin in das Jugend-KZ Uckermark auf, für die Alpen- und Donaugaue gesamt 185 (Werner 1944, 105). Darin sind die Anträge aus dem Jahr 1944 und 1945 noch nicht einberechnet.

Wir konnten 88 weibliche Jugendliche aus Österreich identifizieren, die wegen sogenannter ‚Asozialität‘ im KZ Uckermark inhaftiert waren. Dennoch klafft weiterhin eine große Lücke zwischen unseren und den damals genannten Zahlen. Wahrscheinlichster Grund dafür ist, dass sich viele Schicksale nicht mehr erforschen lassen – mangels Aufnahmelisten im KZ Uckermark, Opferfürsorge-Anträgen von Überlebenden, (Einträge in) Haftbücher diverser Gefängnisse und erst recht mangels Berichten von Überlebenden selbst. Letzteres ist sicherlich auch dem späten Interesse an dieser Verfolgtengruppe geschuldet.






Schreiben Dr. Kaltenbrunner an Karl Kovarik, 5. September 1942 (Quelle: Wiener Stadt- und Landesarchiv, Rassenpolitisches Amt der NSDAP, Gauleitung Wien)


Die Linzerin Maria R., geboren 1924, war eine dieser Jugendlichen, die in ihrem Verhalten den nationalsozialistischen Vorstellungen nicht entsprachen. Sie wurde am 21. November 1941 in die Gauerziehungsanstalt Gleink in Oberösterreich[5] eingewiesen. Vier Wochen später entwich sie. Die Polizei brachte sie Ende Jänner 1942 jedoch neuerlich nach Gleink. Am 26. Juni 1942 kam sie mit dem ‚Gleink-Transport‘ nach Linz ins Polizeigefängnis. Sehr wahrscheinlich wurde sie mit ihren Mithäftlingen Anfang Juli in die Uckermark transportiert. Belegt ist ihre Überstellung von Uckermark nach Ravensbrück am 24. Jänner 1945 (mit über 200 weiteren Frauen im Zuge der Räumung der Uckermark, welches zu einem Todeslager für Ravensbrück umfunktioniert wurde). Danach verliert sich ihre Spur.

Die Rückseite der Meldekarte von Maria R. in Gleink gibt Auskunft über ihre Flucht aus der Erziehungsanstalt und spätere Überstellung ins Polizeigefängnis Linz (Quelle: Magistrat Steyr, Meldeamt)







Eine weitere Jugendliche, für die wir den Verfolgungsweg skizzieren können, ist Juliane R. Sie wurde im Februar 1923 im oberösterreichi-
schen Eggerding im Bezirk Schärding geboren. Gemäß Meldedaten kam sie am 29. Mai 1941 als 18-jährige Jugendliche nach Gleink. Von dort wurde sie über Linz im Juli 1942 in die Uckermark transferiert. Nach gut zwei Jahren wurde sie nach Ravensbrück überstellt. Aussagen eines ehemaligen Mithäftlings in der Uckermark lassen darauf schließen, dass sie aufgrund von Lungentuberkulose nach Ravensbrück ins Krankenrevier überstellt wurde. „Danach habe ich sie nicht mehr gesehen und acht Tage später kamen ihre Kleider herauf, sodass wir wussten, dass sie gestorben war.“[6] Für ihre Tochter Gertrude suchte die Jugendfürsorgeabteilung der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis als Vormund des unehelichen Kindes der in Ravensbrück verstorbenen Juliane R. um Ausstellung eines Opferausweises an. Das Ansuchen wurde jedoch abgelehnt, mit der Begründung, eine Einlieferung in ein Jugendschutzlager wegen drohender Verwahrlosung sei nicht Tatbestand einer vom Opferfürsorgegesetz erfassten politischen Verfolgung. Auch spätere Ansuchen wurden negativ beschieden.

Die Haft und (Über-)Lebensbedingungen im Konzentrationslager
Mittlerweile wissen wir von 188 Österreicherinnen, die in mindestens einem der beiden Lager, Ravensbrück oder Uckermark, inhaftiert waren. Bezogen auf die vier Gaue Wien, Niederdonau, Oberdonau und Steiermark, die wir für das Projekt ‚Stigma asozial‘[7] genauer analysiert haben, waren 138 der 994 Frauen aus den vier Gauen – das entspricht rund 14 Prozent – als ‚Asoziale‘ (auch) in einem Konzentrationslager inhaftiert, davon 134 in Ravensbrück bzw. Uckermark (drei in Auschwitz-Birkenau und eine im KZ Lichtenburg, das bis Mai 1939 bestand). Zwei Drittel von ihnen deportierte man ohne ‚Umweg‘ über eine Arbeitsanstalt dorthin. Mehr als ein Drittel der weiblichen KZ-Häftlinge in unserer Datenbank (37 Prozent) war zumindest in einem weiteren Konzentrationslager inhaftiert. Alle Frauen waren vor ihrer Einweisung in eine Arbeitsanstalt und/oder Konzentrationslager in Gefängnissen festgehalten, wo sie mehr oder weniger lange Zeit verbringen mussten. Besonders viele junge Frauen durchliefen zuvor Erziehungsheime.
Die Spezifizierungen von ‚Asozialität‘ lassen aufgrund der rudimentären Daten keine belastbaren Rückschlüsse zu, obwohl fast die Hälfte aller spezifischeren Begründungen ‚Arbeitsverweigerung‘, ‚Arbeitsvertragsbruch‘ oder ‚Arbeitsscheu‘ betreffen und nur 17 Prozent den Vermerk ‚liederlicher Lebenswandel‘ oder ‚Prostitution‘ aufweisen. Bei den Einweisungsbegründungen in Arbeitsanstalten sind hingegen die beiden Hauptbegründungsstränge, ‚sittliche Verwahrlosung‘ und ‚fehlende Arbeitsmoral‘, nahezu gleich stark vertreten. Das könnte bedeuten, dass ‚unsittlicher Lebenswandel‘ alleine seltener zu einer Überstellung ins Konzentrationslager führte.
Insgesamt zwölf Frauen wurden vor der Befreiung der Konzentrationslager entlassen; sie waren zwischen zehn Monaten und drei Jahren inhaftiert. Die Zahl der Todesopfer unter den ‚asozial‘ Stigmatisieren ist vergleichsweise sehr hoch. Wir wissen von rund 42 Prozent der weiblichen KZ-Häftlinge ihr Schicksal. Von diesen haben fast 40 Prozent nicht überlebt. Die hohe Todesrate lässt sich mehrfach erklären. Maßgeblich für das Überleben war der Verfolgungsgrund und der Zeitpunkt der Haft.[8] Zum einen fielen einige der als ‚asozial‘ und als ‚Juden‘ kategorisierten Opfer der Vernichtungsaktion 14 f 13 zum Opfer – sie wurden 1942 in der sogenannten Euthanasieanstalt Bernburg ermordet. Für alle KZ-Häftlinge, unabhängig vom Verfolgungsgrund, verschärften sich ab Herbst 1944 aufgrund der immensen Überfüllung des Frauenkonzentrationslagers und der sich dadurch verschlechternden Versorgung die Überlebensbedingungen nochmals. Ganz besonders waren davon auch ‚arische‘ ‚asoziale‘ Frauen betroffen (neben den neu eingetroffenen Jüdinnen aus Ungarn und Auschwitz-Birkenau).[9] Die Hälfte der bekannten Todesopfer starb 1944 und 1945. Kein Zusammenhang lässt sich zwischen Inhaftierungsdauer und Überlebenschancen herstellen. Bleibt der Haftgrund selbst: die als ‚asozial‘ Kategorisierten waren schweren Zwangsarbeitskommandos zugeteilt und hatten nicht zuletzt aufgrund der auch in der ‚Häftlingsgesellschaft‘ anzutreffenden Vorurteile gegenüber als ‚asozial‘ kategorisierten Menschen und ihrer Positionierung auf der unteren Stufe in der Häftlingshierarchie kaum Möglichkeiten, Solidargemeinschaften zu bilden.

‚Asoziale‘ Häftlinge im Ravensbrücker Männerlager
Von den 20.000 Häftlingen im Ravensbrücker Männerlager stellten die deutschen Reichsangehörigen mit 3.800 Personen 19 Prozent der Häftlinge.[10] Für 267 Männer konnten wir bislang ihre österreichische Herkunft belegen, für 244 kennen wir auch den Haftgrund.[11] Von ihnen waren 20 Männer und damit acht Prozent der österreichischen Häftlinge unter dem Vorwurf der ‚Asozialität‘ interniert.
Ravensbrück war für alle Männer nicht das erste Konzentrationslager. Mehrheitlich waren sie zuvor im KZ Dachau inhaftiert, einige auch noch in den KZ Flossenbürg, Buchenwald, Natzweiler oder Sachsenhausen. Manche von ihnen wurden von Ravensbrück abermals weiterüberstellt. Die Mortalität der als ‚Asoziale‘ Verfolgten Österreicher war mit 80 Prozent (16 Männer) extrem hoch. Von den Ermordeten waren neun vor der Jahrhundertwende geboren, d.h. dass das höhere Alter die hohe Todesrate unter den ‚asozialen‘ Häftlingen miterklärt. Zehn der insgesamt 16 Männer, die die KZ-Haft nicht überlebten, starben in Ravensbrück selbst, nach durchschnittlich nicht einmal drei Monaten Haftzeit, was die verschärften Haftbedingungen im Männerlager verdeutlicht. Insbesondere in den Jahren 1941 und 1942 glich das Männerlager laut Bernhard Strebel eher einem Straflager.[12]
Ein Beispiel dafür ist das Schicksal des 1901 im niederösterreichischen Weitra geborenen Franz Ga. Er lebte später als Hilfsarbeiter in Wien, eine Quelle spezifiziert seinen Beruf als Waldgeher (Waldarbeiter). Am 9. Juni 1941 wurde er von der Kripo Wien ins KZ Flossenbürg überstellt und dort als ‚asozialer‘ Häftling registriert. Von seiner Einlieferung zeugt auch seine Effektenkarte, deren Auflistung vergleichsweise umfangreich ausfiel. Anfang Oktober sandte die SS ein Paket „mit überflüssigen Eigentumssachen“ an eine Adresse in Wien. Im Juli des darauffolgenden Jahres 1942 wurde Franz Ga. ins Männerlager des KZ Ravensbrück überstellt. Ein halbes Jahr später, Anfang Jänner 1943, starb er dort. Mehr ist zu ihm nicht bekannt.















Vorder- und Rückseite der Effektenkarte von Franz Ga., KZ Flossenbürg (Quelle: Arolsen Archives)


[1] Vgl. Helga Amesberger, Brigitte Halbmayr, Elke Rajal, ‚Arbeitsscheu und moralisch verkommen‘. Verfolgung von Frauen als ‚Asoziale‘ im Nationalsozialismus (Wien 2019) S. 30–37.
[2] Vgl. zu den Größenordnungen der Verfolgung und den Zwangsmaßnahmen Helga Amesberger, Brigitte Halbmayr, Elke Rajal, Stigma asozial. Geschlechtsspezifische Zuschreibungen, behördliche Routinen und Orte der Verfolgung im Nationalsozialismus (Wien 2020).
[3] Steiermärkisches Landesarchiv, Pol-Dion-Graz-Strafakten, Kr.Pol., Nr. 2977.
[4] Vgl. Maike Merten, Katja Limbächer, Geschichte des Jugendschutzlagers Uckermark. In: Katja Limbächer, Maike Merten, Bettina Pfefferle, Das Mädchenkonzentrationslager Uckermark (Münster 2000), S. 16–43, hier: S. 24. In Bezug auf das sexuelle Verhalten verfolgte man bei (jungen) Männern ausschließlich Homosexualität, welche bei (jungen) Frauen wiederum seltener bestraft wurde.
[5] Zu Gleink vgl. Amesberger, Halbmayr, Rajal, Arbeitsscheu, S. 194ff.
[6] Anna R. In: Oberösterreichisches Landesarchiv, OF-Akt, FOF-58-1959, Karton 41.
[7] Vgl. Amesberger, Halbmayr, Rajal, Stigma asozial.
[8] Vgl. Amesberger, Halbmayr, Rajal, Arbeitsscheu, S. 237f.
[9] Vgl. hierzu u.a. Bernhard Strebel, Das KZ Ravensbrück. Geschichte eines Lagerkomplexes (Paderborn 2003).
[10] Bernhard Strebel, Das Männerlager im KZ Ravensbrück 1941 – 1945. In: Dachauer Hefte. Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, 14. Jg., Heft 14, November 1998, S. 141–174, hier: S. 147f.
[11] Helga Amesberger, Brigitte Halbmayr, Gerlinde Schmid, ÖsterreicherInnen im KZ Ravensbrück. Quantitative Auswertung der Datenbank und Erstellung der Website (unveröffentlichter Forschungsbericht am Institut für Konfliktforschung, Wien 2013) S. 19.
[12] Strebel, Männerlager, S. 172f.

Comments are closed.